Nigger Heaven - Roman
heißt Anatole Longfellow.«
Als der Creeper sich durch die Tanzenden schlängelte – seine Bewegungen waren so schleichend und katzenartig, dass man sie nicht als Gang bezeichnen konnte –, wich man ihm aus, obwohl fast jedes Paar seinen Namen flüsterte. Sein Erscheinen war ganz eindeutig eine Sensation, und es war auch deutlich zu sehen, dass dieser Empfang ihn befriedigte. Die Leute mochten vielleicht nicht mit ihm sprechen, aber sie sprachen über ihn. Der Creeper wurde von einem unheimlichen buckligen Zwerg begleitet, der ein vertrocknetes, runzliges, schwarzes Gesicht wie ein Affe hatte. Sein Kinn war von einen Hautausschlag verfärbt, auf seinem Kopf glänzte buschiges, silbernes Haar. Als sich das Gespann an einen soeben frei gewordenen Tisch setzte, der neben dem von Byron und Dick stand, eilten sofort drei Kellner im Charlestonschritt herbei.
»Das erklärt offenbar den Ausdruck: angetanzt kommen«, bemerkte Dick.
Der Creeper gab hochtrabend seine Bestellung auf, und die Kellner tanzten beflissen davon. Dick und Byron saßen so, dass sie den Creeper unbemerkt beobachten konnten. Er machte einen schwachen Versuch, seine Stimme zu dämpfen, aber um die beschwipstbeschwingte Erhabenheit der Jazzband zu übertönen, musste er sie lautstark einsetzen, und da sie sich scheinbar weit vorn in seinem Mund befand, hatte sie die doppelte Resonanz einer landläufigen Orgel.
»Der Nigga hat nicht mehr lang zu leben«, verkündete der Creeper. Der Bucklige wand sich in gespieltem Entsetzen, rieb sich die Hände und lächelte beifällig. Dann führte er den Mittelfinger bedeutungsvoll über seine Gurgel und krächzte: »Ich wette, für den gibt’s kein Entkommen.«
»Das Messer ist zu gut für diesen Dreckskerl. Ich knalle ihn ab.« Der Bucklige verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße sichtbar war, während er seine dicken Lippen mit seiner fetten, roten Zunge ableckte.
»Wer mir meine Puppe klaut, ist ein toter Mann«, fuhr der Creeper fort. »Dem schmeißen sie bald Dreck in die Grube.«
»Diese Ruby ist echt ’ne dumme Pute«, steuerte der geifernde Zwerg bei. »Ist ’ne saudumme Pute«, wiederholte er und wackelte wild mit dem Kopf. Er war fast in Ekstase.
Der Kellner kam mit den Getränken und stellte sie auf dem Tisch ab. Der Creeper füllte sein eigenes Glas und gab dann verächtlich einige Tropfen in das Glas seines Begleiters.
»Na«, flüsterte Byron, »für irgendjemanden sieht es schlecht aus.«
»Ist nur billige Prahlerei«, erklärte Dick. »Diese Kerle, die von Frauen leben, sind alles Feiglinge. Nichts wird er tun.«
Der Creeper tanzte inzwischen mit einer hübschen Mulattin. Seine Hände lagen mit gespreizten Fingern auf ihren Schultern. Eine uralte Gottlosigkeit lag in der sinnlichen Anmut ihrer vereinten, über die Tanzfläche wirbelnden Körper.
»Augen weg von der Goldbraunen!«, warnte Dick lachend.
»Du kennst meinen Typ!«
»Das merkt man schnell.«
Byron wandte sich seinem Begleiter zu und blickte ihn ernst an.
»Dick, ich möchte dich etwas fragen. Jetzt … wo du weiß bist … bevorzugst du auch weiße Frauen?«
Dick wich Byrons Blick aus. »Das ist ja das Schlimme daran«, stöhnte er. »Ich will keine Weiße. Mit ihnen ist es immer so deprimierend.«
Baldwin und McKain gesellten sich wieder zu ihnen.
»Wir haben mit einem Mann geredet, der hier zeichnet«, erklärte der Schriftsteller. »Mein Gott, ist es hier toll! Ich könnte hier oben leben! Ist ganz Harlem so?«
Die Frage rief in Byrons Kopf einen Schwarm wunderlicher, tanzender Bilder wach. All die Ungereimtheiten, die wilden Dissonanzen, die seltsamen Widersprüche dieses grausamen, abgesonderten Lebens drängten sich darin durcheinander.
»Ja«, antwortete er, »so wird es wohl sein.«
Kapitel 4 Völlig beschämt rief Byron am nächsten Morgen Mary an, aber die Unterhaltung verlief unvermeidlicherweise so unbefriedigend, dass er zu einem gewissen Grad wieder in seine störrische Stimmung verfiel. Er wusste natürlich nur zu gut, dass sie in der Bücherei nicht frei sprechen konnte, aber obgleich sein Verstand sie entschuldigte, weigerte sich sein Gefühl, dies einzusehen. Ich werde es ihr schon zeigen, versicherte er sich, ich zeig´s ihr. Zum ersten Mal beugte er sich mit wirklichem Interesse an seinem Vorhaben über das leere Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag, und arbeitete dann den ganzen Tag intensiv, mit einer kurzen Pause für das Mittagessen – Pfannkuchen mit Kutteln, die Mrs Fox für
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