Night Academy 2
mal nicht. Dieses Mienenspiel kannte ich von ihm gar nicht. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt, in seinen Augen lagen Wut und Enttäuschung. Wenn ich ihn nicht so gut gekannt hätte, hätte er mir richtig Angst gemacht.
Trotzdem rührte er sich nicht.
Auch wenn er noch so schnell war, konnte Cam Thaddeus’ Fäusten nicht dauerhaft ausweichen, und so bekam er schließlich einen Schlag direkt ins Gesicht. Als er blindlings zurückschlug, packte Thaddeus ihn am Arm, drehte ihn herum und hieb ihm dreimal kräftig in den unteren Rücken. Cam ächzte und stolperte ein paar Schritte nach hinten.
Ich fuhr herum und sah Barrett an. »Tu doch was!«, schrie ich. »Hilf ihm!«
»Sie haben sich das selbst zuzuschreiben«, sagte Barrett. »Das ist ihr Kampf.«
»Was?«
»Das war nur eine Frage der Zeit«, sagte er kopfschüttelnd. Er presste die Lippen aufeinander, und in seinen Augen lag ein gefährliches Funkeln.
Aus seinem Gerede wurde ich nicht schlau. Barrett sah tatenlos zu, wie Cam verprügelt wurde, weil Cam und Co den Streit angefangen hatten? Niemals! Wenn die eigenen Leute in Gefahr schwebten, half man ja wohl. Selbst wenn es sich nicht um Barretts engste Freunde handelte, hatten wir doch alle dem Programm unsere Treue geschworen. Ich wusste nicht, wer die Schläger mit dem roten Tuch waren oder was sie wollten, aber sie hatten es auf uns abgesehen.
Und sie waren kurz davor, zu gewinnen.
Ich trat ein paar Schritte vor.
»Nicht«, sagte Barrett warnend. »Du verletzt dich nur. Überlass das der Polizei.«
»Aber … «
»Was willst du denn machen? Dich als Punchingball zur Verfügung stellen? Meinst du wirklich, das bringt’s?«
Zu meinem Ärger musste ich zugeben, dass Barrett recht hatte. Ich kämpfte wie eine Sechsjährige. Als ich im Selbstverteidigungskurs mit dem Sandsack geübt hatte, konnte ich immer von Glück sagen, wenn der Sack mich nicht umwarf. Wenn ich es mit jemandem aufnähme, der sich aufs Kämpfen verstand, wäre ich in null Komma nichts ein blutiger Klumpen.
»Es gibt noch andere Möglichkeiten zu kämpfen«, sagte ich.
Ich konzentrierte mich auf Thaddeus und blendete alle anderen Kämpfer aus. Im Grunde hatte ich keinen Plan, aber ich sammelte schon mal meine Energie in der Hoffnung, mir würde etwas einfallen.
»Hör auf, Dancia«, fuhr Barrett mich an. »Du bist noch nicht so weit.«
»Aber … «
»Nein.«
So hatte er noch nie mit mir gesprochen, seine Stimme duldete keinen Widerspruch.
»Ich möchte helfen.«
Cam wehrte einen Tritt von Thaddeus ab, strauchelte dabei aber. Trevor blutete im Gesicht.
»Ich muss helfen.«
»Das würde dich überfordern. Dir fehlt noch die Kontrolle.«
»Ich bin auch ganz vorsichtig, Barrett.«
»So wird nur jemand verletzt. Ernsthaft verletzt. Und dann wird die Polizei Fragen stellen.«
Mich fröstelte. Die Lehrer auf der Night Academy hatten uns immer wieder eingebläut, dass das Programm geheim bleiben musste. Die Night Academy war vor allem deshalb eine solch mächtige Bastion gegen das Böse, weil niemand von ihr wusste. Was die Geheimhaltung anging, hatte ich mich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, von Mäßigung ganz zu schweigen. Während meiner Auseinandersetzung mit den Wächtern im letzten Halbjahr hatte ich eine Windschutzscheibe zerschmettert, Telefonmasten umgeworfen und einen riesigen Krater in unsere Straße gerissen. Nicht gerade unauffällig.
Mehr und mehr Leute strömten an mir vorbei, um sich an der Schlägerei zu beteiligen. Ich hörte, wie Anna und ihre Mom aus dem Haus kamen und leise stritten. Annas Mom wollte, dass sie die Polizei rief, doch Anna wollte lieber kämpfen.
Schließlich tat Anna, was ihre Mutter verlangte und ging zurück ins Haus. Annas Mutter stürzte sich derweil ins dichteste Schlachtgewühl und stand einer Elftklässlerin namens Olive bei, die es mit einem Jungen aufgenommen hatte, dessen Hände überall gleichzeitig zu sein schienen. Vielleicht besaß er auch mehr als zwei. Schwer zu sagen.
Allmählich wendete sich das Blatt zu unseren Gunsten. Von den Zehntklässlern war Meredith die Erste, die auf der Straße mitmischte und neben Sam Position bezog. Eine begnadete Kämpferin war sie nicht gerade, aber da sie die Attacken des Gegners immer voraussah, hielt sie die Stellung. Alisha, eine weitere Zehntklässlerin, machte mangelnde Kampfkunst durch Begeisterung wett. Annas Mom kämpfte für drei. Sie packte den vielhändigen Jungen und verpasste ihm eine kräftige Kopfnuss, dann
Weitere Kostenlose Bücher