Night School 02 - Der den Zweifel saet
fort. »Wo genau du in London wohnst. Wie deine Freunde heißen. Verstehst du?« Er sah sie an.
»Was hast du ihm gesagt?«, fragte sie.
»Was ich wusste«, antwortete er. »Das war ja nicht sehr viel. Der Londoner Süden. Irgendeine popelige Schule, die du scheiße fandst. Ein Typ namens Mark, und noch einer namens Harry. Dass du mit deinen Eltern nicht klargekommen bist …«
Es fiel Allie schwer, sich nicht verraten vorzukommen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass Carter Gabe alles über ihr Leben vor Cimmeria erzählt hatte, was er wusste.
Wie soll ich denn jetzt damit umgehen?
Ihr fiel die Technik ein, zu der Eloise ihr geraten hatte, damit es ein Interview blieb.
»Denk wie ein Reporter«, hatte sie während ihrer privaten Trainingssession in dem Studierzimmer hinten in der Bibliothek gesagt. »Was würde ein Reporter fragen, wenn er Carter interviewen würde? Du musst emotionale Distanz wahren, dann fällt es dir leichter, zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht.«
Allie versuchte, sich vorzustellen, was sie Carter fragen würde, wenn sie nicht seine Freundin gewesen wäre. »Gab es eine Frage, die du besonders merkwürdig fandst? Etwas, das dich irgendwie aus der Reihe gebracht hat?«
Carter drehte ihr den Rücken zu und ging zum Altar. Er hatte die Hände tief in die Taschen geschoben. Als er antwortete, war seine Stimme so leise, dass sie nicht sicher war, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
»Er hat nach deinem Bruder gefragt.«
»Was?« Ein Stromschlag durchfuhr sie bis in die Fingerspitzen. »Hast du gerade gesagt, er hat dich nach Christopher gefragt?«
Immer noch mit dem Rücken zu ihr, nickte er. »Und was ich nicht kapiert hab, war …« – er drehte sich um, und sie sah die Sorge in seinen Augen – »… woher wusste er überhaupt, dass du einen Bruder hast? Du hast doch nie jemandem davon erzählt. Und selbst wenn er von ihm gewusst hätte, wieso interessierte ihn das? Er hat mich richtig ausgefragt.«
Urplötzlich fühlte sich der Raum kälter an. Allie musste schwer schlucken. »Vielleicht wusste er es von Jo?«, schlug sie hoffnungsvoll vor, während sie den Schal fester um den Hals wickelte. »Ihr habe ich von Christopher erzählt, und sie war damals Gabes Freundin. Was hat er denn genau gefragt?«
Carters Schritte hallten durch die leere Kapelle, als er auf sie zukam. Die Sonne musste fast untergegangen sein, denn der Schimmer der bunten Glasfenster war verschwunden. Plötzlich wirkte der Kirchenraum finster; die flackernden Kerzen warfen tanzende Schatten an die weißen Wände.
»Wie eng euer Verhältnis war. Ob du je davon gesprochen hast, ihn zu suchen.« Er stand jetzt direkt vor ihr, die dunklen Augen voller Sorge. »Er wollte sogar wissen, wo du damit anfangen würdest.«
Allie schlang die Arme fest um ihren Oberkörper.
»Das ist ja schon … gruselig«, sagte sie leise. »Das gefällt mir irgendwie gar nicht.«
»Nein«, erwiderte er, und das Kerzenlicht flackerte in seinen Augen. »Mir auch nicht.«
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Fünfzehn
Den ganzen Abend nahm Allie völlig normal am Cimmeria-Leben teil, als ob nichts gewesen wäre. Doch in ihrem Kopf wirbelten die sorgenvollen Gedanken wie ein Tornado. Alles schien wirr und nur schrecklich. Carter und Gabe, der noch unentdeckte Spion, Nathaniel … Daraus musste sie erst einmal schlau werden. Warum hatte Gabe Carter das alles gefragt? Was hoffte er dadurch zu erfahren?
Die Einzige, von der sie sich vorstellen konnte, dass sie es verstehen würde – und die Einzige, die gewusst hätte, was zu tun war –, war Rachel. Aber ausgerechnet ihr konnte Allie es nicht erzählen.
Recht besehen, konnte sie es niemandem erzählen.
Außer …
Isabelle hätte sie es schon erzählen können. Aber was dann? Würde Carter Schwierigkeiten bekommen? Die Vorstellung, Isabelles Vertrauen in Carter könne dadurch zerstört werden, schien ihr unerträglich. Schließlich war Isabelle für ihn so etwas wie ein Mutterersatz.
Die sorgenvollen Gedanken quälten sie so, dass sie sich nicht auf ihre Hausaufgaben konzentrieren konnte.
Nach dem Abendessen, während die anderen Schüler ihren üblichen Beschäftigungen nachgingen, also sich zum Lernen in die Bibliothek oder – da es draußen immer noch regnete – zum Spielen in den Aufenthaltsraum begaben, lungerte Allie schließlich doch vor Isabelles Büro herum. Ihre Schritte quietschten, als sie immer wieder über das federnde, gebohnerte Eichenparkett vom Flur zur Treppe und zurück
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