Night Sky 1 - Sklave des Blutes (German Edition)
wühlte ihn auf. Er empfand keine Angst vor dem Rat der Fürsten, dennoch kannte jeder Vampir ihre berühmt-berüchtigten Urteile. Sie statuierten gern Exempel, deren Ausmaße sich wie ein Lauffeuer verbreiteten und früher oder später nicht mehr der Wahrheit entsprachen.
Als er heute früh in San Francisco eintraf, hatte Sitara ihn mit der Ausrede, sie hätte Besuch, nicht empfangen. Er verübelte es ihr nicht, es war ein schlechter Zeitpunkt, den Namen Baker durch eine Vorladung in den Schmutz zu ziehen. Dabei vertrat Jonas die Überzeugung, dass er dies nicht getan hatte, er hatte Leben gerettet, fertig. In den Medien der Menschen feierte man ihn als Helden der Stunde. Und auch, wenn das oberste Gesetz meinte, dass Wesen nicht in die Weltordnung eingreifen durften, fühlte es sich richtig an. Leider hatte er kein Argument in petto, außer dass seine Spezies bei der Rettungsaktion verschleiert geblieben war. Zum Glück ahnte der Rat der Wesen nicht, dass er einem Homo sapiens mit seinem Blut zur Heilung verholfen, ihr vielleicht sogar das Leben geschenkt hatte.
Jonas’ Handknöchel an der Haltestange stachen weiß hervor und er lockerte den Griff, versuchte, sich zu beruhigen. Die Unruhe, die ihn seit Dads Tod befallen und sich immens gesteigert hatte, als er das Unglücksflugzeug bestieg, trieb ihn in den Wahnsinn. Er wusste nicht, wie er Cira aus dem Kopf, aus seinem Blutkreislauf bekommen sollte. Ihr Gesichtsausdruck, ihr süßer Duft, ihre zarte Haut, ihre Stimme verfolgte ihn Tag und Nacht. Gerade jetzt, wo er alle Sinne kontrollieren musste, war es lebensnotwendig, sie aus dem Gedächtnis zu streichen. Gut, dass er mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte, dass Ny’lane der Einzige mit der Gabe des Gedankenlesens war, sonst würde er sich ernsthaft um sein Leben sorgen. Die Fürsten wahrtendie alten Gesetze und kannten kein Erbarmen. Niemand wusste, wer sie waren.
Jonas strich sich das Haar aus der Stirn und lockerte die Schultern. Eine junge Frau mit Kleinkind auf dem Schoß sah zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten schüchtern, musterten seine Erscheinung und die Lederkleidung, gleichzeitig trafen ihn Wellen heißer Sehnsucht und unterdrücktes Verlangen, die ihn überschwemmten und fast aus dem Gleichgewicht brachten. Er sollte ihr ein Lächeln schenken, ihr zeigen, wie attraktiv sie war. Er könnte sie mit einer Liebesnacht zu dem glücklichsten Wesen auf Erden machen. Gottverflucht! Er hatte gedacht, dass er nach über 100 Jahren zölibatärem Leben seine Gedanken und Gefühle besser unter Kontrolle hatte. Es blieb ein verdammter Kreislauf. Seine Blutgier war nicht von der Fleischeslust zu trennen, einzig die Auswirkungen waren unterschiedlich, schwebten zwischen der Blutsvereinigung und dem Tod der Frau. Ein Kreis, der ihn ins Verderben führte, egal, in welche Richtung er lief. Jonas drehte sich der jungen Mutter zu, sah sie grimmig an und sprang vom fahrenden Cable Car.
Die Sonne senkte sich dem Horizont entgegen, tauchte das marmorne Gestein der San Francisco City Hall in orangenes Licht. Er wandte sich um und betrachtete sein Ziel. Das Innere des Opera Houses erstrahlte hell, extravagant gekleidete Menschen standen auf den Balkonen inmitten der dicken Säulen, ergötzten sich an dem Sonnenuntergang und dem Anblick des monumentalen Rathauses, ohne zu ahnen, was sich unterhalb der renommierten Spielstätte befand.
Er war noch nie zu den Fürsten bestellt worden, wusste nicht, wo das Gericht tagte, aber anscheinend hatte er die nötigen Informationen mit der mentalen Einladung erhalten. Schnellen Schritts ging er rechts an der Oper vorbei, durch ein blaues Gittertor mit goldenen Verzierungen und wandte sich einem erhabenen Torbogen zu. Nachdem er die Tür mit seinen geistigen Fähigkeiten entriegelt hatte, folgte er in vampirischer Geschwindigkeit seinem Instinkt. Die Menschen, denen er anfangs begegnete, nahmen ihn als Schatten oder Luftzug wahr. In den unterirdischen Gängen verlangsamte er das Tempo und bewegte sich vorsichtiger. Bisher hatte er die Existenz dieser Anlage unterhalb des Opernhauses für absonderliche Gerüchte gehalten, doch mit den Zeichen des Feuers an den verkohlten Kellerwänden ergab alles einen Sinn. Das Erdbeben von 1906 hatte die Küste Nordkaliforniens erschüttert und in den darauf folgenden vier Tagen zerstörte ein Feuerinferno fast die gesamte Stadt. Damals mussten die Fürsten diese Korridore für die Menschheit abgeschottet haben, um sie zu nutzen.
Unvermittelt
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