Night Sky 1 - Sklave des Blutes (German Edition)
Nein, sie schaffte das schon, auch wenn ihr Körper aus einem einzigen Schmerz zu bestehen schien. Sie streckte den Rücken und reichte dem Fremden die Hand entgegen. Dieser schaute verdutzt und sie hätte drauf gewettet, dass er hinter der abgedunkelten Sonnenbrille mit Jonas Blickkontakt suchte. Das fand sie nicht nur amüsant, sondern ebenso vertrauenerweckend. Sie atmete tief durch.
„Ich bin Cira Anderson. Sir, ich danke Ihnen. Normalerweise würde ich sagen, dass nur Gott allein sie beide im rechten Augenblick geschickt hat, um mir zu Hilfe zu eilen. Doch ich vermute“, sie warf Jonas einen Seitenblick zu, „Sie sind unübersehbar vom gleichen Schlag und wissen, dass Mr. Baker mir schon zum dritten Mal das Leben gerettet hat. Ich sollte mein starres Verhalten ablegen und der übersinnlichen Verbindung zwischen uns Glauben schenken.“
Das kantige Gesicht des Unbekannten verformte sich zu einem breiten, sympathischen Grinsen, das eine Reihe weißer Zähne entblößte, als er ihre Hand behutsam mit seiner anhob. Zu ihrer Verblüffung drückte er ihr einen Handkuss auf, um dann die andere warme Pranke auf ihre im krassen Gegensatz kühle Hand zu legen.
„Es ist mir eine Ehre, dich endlich kennenzulernen, Cira.“ Er hatte also schon von ihr gehört. Innerlich schmunzelte sie. Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Mein Name ist Ny’lane Bavarro, aber man nennt mich schlicht Nyl und …“
„… und er ist der größte Charmeur der hiesigen Sphäre“, brummte Jonas, und obwohl er ebenso grinste, schwang eine simple Warnung darin mit.
Mehr und mehr fiel die Starre von Cira ab. Sie hatte den Angriff überlebt, nicht zuletzt durch das Eingreifen ihrer riesigen Bodyguards. Sie kicherte. Es kam einfach so aus ihrer Kehle, befreite sie von dem Schrecken, der tief in den Gliedern feststeckte. Jonas trat auf sie zu und sie sah, noch mit ihrem Kichern kämpfend, zu ihm hoch. Er lächelte sie zurückhaltend an. Dann schlug er den Mantel zurück, zog das seidige Hemd aus der Lederhose und riss ein langes Stück Stoff ab.
„Was …?“
Er nahm behutsam ihre rechte Hand in seine, streckte ihren Arm aus und drückte ihre Finger auf seine Brust. Cira stockte der Atem, als sie den kräftigen Herzschlag spürte und das Pochen durch den Arm zu ihr überzulaufen schien. Er strahlte zügellose Leidenschaft aus, er war die reinste Verführung. Jonas fühlte es genauso wie sie, sie sah es in seinen Augen, die er plötzlich ebenso wie den Mund zusammenkniff. Er ließ ihre Hand auf seinem Oberkörper los, aber nur, um ihren rechten Oberarm mit dem seidigen Stoff zu verbinden.
„Oh mein Gott.“
Er lächelte sie an. „Es ist nicht schlimm, nur ein Schnitt.“
Er überprüfte den Knoten und den Sitz des schwarzen Verbandes. Doch das hatte sie nicht gemeint, auch, wenn sie das Blut, das ihr den Arm hinabrann, nicht bemerkt hatte. Sie stand hier in ihrer ältesten Baumwollnachtwäsche, hatte sich seit gestern Abend weder gekämmt noch die Zähne geputzt. Sie zog schnell die Hand von seiner Brust und ging einige Schritte rückwärts. „Ich muss ins Bad.“
Polizeisirenen ertönten durch die kreuz und quer hängenden Lamellen der offenen Fensterfront und Jonas’ eisiger Blick traf ihren. Vielleicht sollte sie das mit der These ‚nicht gefährlich‘ noch einmal gründlich überdenken.
Er packte ihren linken Arm und zog sie herrisch an seinen Körper. „Tut mir leid. Das geht nicht!“
„Wie …?“
„Nyl?“
„Wird erledigt, Jonas.“
Er schwang einen Arm hinter ihren Rücken, den anderen unter ihre Kniekehlen und hob sie an die breite Brust. Ihre nackten Füße ragten in die Luft, während er mit ihr auf die Fensterfront zuging, die schweren Stiefel auf den Glasscherben knackten und knirschten.
„Was soll das?“ Sie hätte etwas Deftiges sagen müssen, aber in solchen Situationen fiel ihr selten das Passende ein. Er sah wütend auf sie herab. Die geschlitzten Augen funkelten zornig, die Besorgnis war wie weggeblasen, nur noch reiner Ärger war darin zu lesen, als er mit der angenehmen, tiefen Stimme murmelte.
„Schlaf, mein Engel! Schlaf jetzt!“
23. März
J onas saß in einem breiten Drehsessel, das Kinn auf den Handballen gestützt und betrachtete Cira, wie sie in Trance schlief. Er beugte sich vor, zog die Wolldecke höher über die Brust bis zum Hals und widerstand dem Drang, die Enden unter die Schultern oder ihre Hüften zu stopfen. Vampire mochten es gern kühler, aber er wollte nicht,
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