Nightschool. Du darfst keinem trauen
mit ihr Weihnachten zu feiern. Als sie am ersten Feiertag nicht zum Essen erschien, ist er rauf in ihr Zimmer, um nachzusehen, und … tja, fröhliche Weihnachten allerseits.« Rachel seufzte. »Sie haben ihr den Magen ausgepumpt und sie zum Psychiater geschickt. Lucas ist ihr die ganze Zeit nicht von der Seite gewichen. Aber sobald es ihr besser ging, hat er sich von ihr getrennt. Und drei Wochen später hat sie was mit Gabe angefangen.«
»Kein Wunder …«, murmelte Allie leise.
»Was?«, fragte Rachel.
»Na, dass Lucas nicht besonders überrascht war, als er das mit Jo gehört hat.«
»Tja. War er auch nicht«, sagte Rachel trocken.
»Aber wieso sind dann alle – wieso ist Lucas dann noch mit ihr befreundet?«
»Du kennst sie doch«, sagte Rachel. »Neunundneunzig Prozent der Zeit ist sie das netteste, freundlichste Mädchen der Welt. Und da vergibt man ihr das eine Prozent. Abgesehen davon ist sie eine von ihnen.«
»Eine von ihnen?«, fragte Allie.
»Na ja, ihre Familie ist wohlhabend, ihre Eltern sind hier zur Schule gegangen, einige kennen sie schon von klein auf. Sie ist durch und durch Cimmerianerin.«
Während Allie so dasaß und nachdachte, kam ihr ein schrecklicher Gedanke.
»Und was weißt du über mich?«
Rachel sah sie zweifelnd an. »Willst du das wirklich wissen?«
Allie nickte. »Ich halt das schon aus.«
Rachel dachte sorgfältig nach, bevor sie antwortete. Offenkundig war ihr nicht ganz wohl in ihrer Haut.
»Na gut. Ich weiß eigentlich nicht viel über dich, und das, was ich weiß, halte ich für nicht belegt.« Sie schwieg und sah Allie entschuldigend an. »Also dann. Den Namen Sheridan kennt hier niemand, du gehörst also nicht zum Schuladel, es sei denn, es wäre die Familie deiner Mutter. Soweit bekannt, bist du das einzige Kind deiner Eltern, die irgendwelche Regierungsjobs haben. Du bist in Südlondon aufgewachsen und bist vorbestraft. Deine Eltern haben dich zur Bewährung hergeschickt. Du hast ein Stipendium. Und du hast Ruths Leiche gefunden.«
Allie schluckte. Wenn man es so eindampft …
»Gott, klingt ja wie der letzte Loser.«
»Hey, so hab ich’s nicht gemeint.« Rachel sah betroffen drein. »Ich weiß wirklich nicht viel über dich. Und ich halte dich nicht für einen Loser.«
Allie dachte kurz darüber nach, dann warf sie Rachel einen herausfordernden Blick zu.
»Und was ist mit dir?«
»Wie – was ist mit mir?«, fragte Rachel verdutzt.
»Was erzählen sich die Leute so über dich?«
Rachel lächelte. »Ach so. Na gut. Also: Rachel Patel, Tochter von Rajesh und Linda Patel, geboren in Leeds. Vater Inder, Mutter nicht. Vater Stipendiat in Cimmeria und heute ein internationaler Sicherheitsexperte, der für verschiedene Regierungen arbeitet. Alles streng geheim. Mitglied im Cimmeria-Aufsichtsrat – sehr einflussreich. Rachel hat eine zwölfjährige Schwester namens Minal. Ihre Mutter hat gleich zwei Doktortitel – bisschen übertrieben, wenn du mich fragst – und betreibt eine private medizinische Forschungsfirma in der Gegend, wo die Familie lebt, ganz in der Nähe von hier. Ein palastartiges Gebäude mit ein paar Hektar Land drumherum. Rachel hat fast überall sehr gute Noten, vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern. Wenn sie groß ist, will sie Ärztin werden. Zufrieden?«
»Zufrieden«, sagte Allie lächelnd, doch ihre Miene war ernst.
Jetzt waren sie quitt.
Jo erschien am Montag nicht zum Biologieunterricht. Allie hielt die Ungewissheit nicht mehr aus. Nach der Stunde ging sie zu Jerry, um zu fragen, wo Jo steckte.
»Du weißt ja, dass Jo ziemlich gravierend gegen die Schulregeln verstoßen hat.« Er nahm seine Nickelbrille ab. »Deshalb haben wir sie mit einem sogenannten Stubenarrest bestraft.«
»Was heißt das?«, fragte Allie.
Jerry putzte sich mit einem blütenweißen Taschentuch die Gläser. »Das heißt, dass sie nach ihrer Entlassung aus der Krankenstation auf ihrem Zimmer bleiben muss. Essen und Hausaufgaben bekommt sie dorthin gebracht. Von allen anderen Aktivitäten bleibt sie ausgeschlossen.«
Allie spielte mit dem Saum ihrer weißen Bluse, während sie Jerrys Worte wog. »Und wie lang soll dieser … Stubenarrest gehen?«
Jerry setzte die Brille wieder auf. »Nur eine Woche. Solange sie die Einschränkungen akzeptiert, ihre Arbeit macht und keine weiteren Regeln bricht.«
»Darf ich sie sehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Kontakte sind leider nicht erlaubt. Jo soll die Zeit der Isolation zum Lernen
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