Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
Stockwerk sah fast so aus wie ihre alte Wohnung – ein Schweinestall. Schmuddelig und widerlich mit einer Prise ekelerregend. Es war ein wenig hygienischer als früher, weil ich darauf bestand, doch der Geruch traf mich wie ein Fausthieb. Ihre Etage roch drückend, weiblich, an der Grenze zum Wahnsinn. Im Vorbeigehen spähte ich durch die Schlafzimmertür. Der Raum war leer mit der Ausnahme eines Haufens von Decken mitten auf dem Boden, die wie ein Nest zusammengeknüllt waren. Zumindest waren es saubere Decken. Da ich Suzie hier nicht antraf, schlenderte ich weiter zum Wohnzimmer und klopfte behutsam an. Suzie reagierte nicht allzu gut auf Überraschungen.
Suzie hatte sich auf ihrem Lieblingsmöbelstück ausgebreitet, einer langen Couch, die mit rotem Leder überzogen war. „Damit man das Blut nicht sofort sieht“, hatte Suzie auf meine Frage geantwortet, also fragte ich sie auch nicht mehr. Sie ignorierte mich, als ich eintrat. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf die Lokalnachrichten gerichtet, die gerade auf ihrem bescheideneren Fernseher liefen. Der Raum wird nie aufhören, mich zu deprimieren. Er war kahl und leer. Nackte Holzdielen, bloße Gipswände mit Ausnahme eines Posters, das Diana Rigg als Mrs. Emma Peel in der alten TV-Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ zeigte. Suzie hatte mit etwas, das verdächtig nach getrocknetem Blut aussah, „mein Idol“ in eine Ecke gekritzelt.
Ihre DVDs waren in schiefen Türmen an die Wand gestapelt. Ihre Bruce-Lee- und Jackie-Chan-Streifen, ihre heißgeliebten Easy-Rider-DVDs und Marianne Faithful in „Nackt unter Leder“. Sie hatte auch eine Schwäche für James Camerons Aliens und seine beiden Terminator-Filme. Dazu ein ganzer Haufen von Roger Cormans Hells-Angels-Filmen, von denen Suzie immer noch steif und fest behauptete, es handele sich um Komödien.
Sie trug ihr Lieblings-Cleopatra-Jones-T-Shirt über ausgebeulten Bluejeans und kratzte sich genüsslich den nackten Bauch, während sie frittierte Tintenfischringe aus einer Pappschachtel in sich hinein futterte. Ich setzte mich neben sie und wir sahen gemeinsam die Lokalnachrichten an. Die unglaublich attraktive Nachrichtensprecherin war gerade mitten in einem Beitrag über Streikdrohungen der Kanalarbeiter der Nightside, die größere Flammenwerfer und vielleicht auch ein paar Raketenwerfer forderten. Offensichtlich hatten sich die Riesenameisen zum ernsthaften Problem gemausert.
Dann folgte ein Bericht über Zeitanomalien, die sich an bisher unbetroffenen Orten geöffnet hatten. Bereits jetzt flitzten Mitglieder des Wirklich-Gefährliche-Extremsportarten-Clubs aus allen Teilen der Nightside an die Fundplätze, um sich mit Verve hineinzustürzen, um als Erste zu erfahren, wo sie wohl hinführten. Niemand versuchte, sie aufzuhalten. Hier in der Nightside waren wir starke Befürworter des Prinzips, jeden so zur Hölle fahren zu lassen, wie er es für richtig hielt.
Schließlich war ein fanatischer Druidenterrorist aufgetaucht, der einen in Mistelzweige gehüllten nuklearen Sprengkopf besaß. Zum Glück wollte er zunächst eine ganze Liste von Forderungen verlesen, die er noch nicht einmal zur Hälfte abgehandelt hatte, als Walker erschien und ihn mit seiner Stimme zwang, seine eigene Bombe Bissen für Bissen aufzuessen. Es kursierten bereits Wetten, wie weit der Druide kommen würde, bis ihm das Plutonium tödliche Verdauungsschwierigkeiten bescherte.
Ohne den Blick vom Schirm abzuwenden, streckte Suzie einen Arm aus, um ihre linke Hand sacht auf mein Knie zu legen. Ich versuchte, möglichst bewegungslos dazusitzen, dennoch zog sie ihre Hand fast augenblicklich wieder zurück. Sie gab sich echt Mühe, aber sie konnte es nicht ertragen, jemanden zu berühren oder selbst liebevoll berührt zu werden. Als Kind hatte ihr eigener Bruder sie missbraucht, und das hatte schwere psychische Narben hinterlassen. Ich hätte ihren Bruder umgebracht, hätte Suzie das nicht viele Jahren zuvor bereits getan. Wir arbeiteten an dem Problem und ließen uns Zeit. Wir waren einander so nahe, wie wir konnten.
Es überraschte mich also, als sie ihren Eimer voller frittierter Tintenfischringe absichtsvoll neben sich stellte, sich zu mir umdrehte und mir beide Hände auf die Schultern legte. Sie schob ihr Gesicht ganz nahe an meines. Ich spürte ihren gleichmäßigen Atem auf meinen Lippen. Ihr kühler, kontrollierter Ausdruck änderte sich nicht, aber ich spürte die steigende Anspannung in ihren Händen auf meinen Schultern –
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