Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
wenn ich mir manchmal Sorgen mache, ob Sharon auch nur einen Funken Christentum in ihrem zauberhaften Leib hat. Nun, Liebste?“
„Ich glaube, was auch immer du glaubst, Tamsy“, meinte Sharon beherzt, „und Gott gnade demjenigen, der dir etwas antun will, wenn ich in der Nähe bin, jawohl.“
„Sharon ist meine Leibwächterin“, erklärte Tamsin zärtlich. „Sie ist viel mehr, als man ihr ansieht.“
„Das muss sie auch sein“, dachte ich, auch wenn ich genug Verstand hatte, es nicht hinauszuposaunen.
„Ich trage das Wort des Herren zu jenen, die es am meisten brauchen“, sagte die Vikarin. „Ich höre zu und biete Rat und Trost, soweit mir das möglich ist, und wenn ich auch nur einen Sünder zurück ins Licht führen kann, zahlt sich meine Zeit hier bereits aus. Auch wenn ich natürlich hoffe, weit mehr zu retten. Dennoch bin ich Missionarin und keine Kreuzritterin, der Weg des Schwertes ist nicht meiner.“
„Dann ähneln Sie ihrem Vorgänger aber überhaupt nicht“, merkte ich an. „Bank sah sich als heiligen Terroristen, der den Kampf für das Gute mit wirklich allen notwendigen Mitteln ausführte.“
„Der gute Bank“, sagte Tamsin. „Wir vermissen ihn sehr.“
„Er war einige Zeit mein Lehrer“, sagte ich. „Bis er beschloss, ich sei in den Augen Gottes ein Gräuel.“
„Ich weiß“, entgegnete Tamsin. „Ich habe seine Tagebücher aus dieser Zeit gelesen. Für einige Zeit setzte er große Hoffnungen auf Sie.“
Unwillkürlich zog ich eine Braue hoch. „Ich wusste überhaupt nicht, dass Bank Tagebücher hinterlassen hat.“
„Aber ja. Faszinierende Lektüre. Er hat viel über Sie geschrieben. Ehe er seine Augen für Wissen über Sie opferte. Nehmen Sie doch noch einen Keks, dazu sind sie ja da.“
„Ich habe keine Zeit für Ablenkungen“, antwortete ich plump. „Was können Sie mir über den Wanderer erzählen?“
Tamsin und Sharon warfen einander einen Blick zu. „Wir haben gehört, er sei endlich hier“, sagte Tamsin. „Es heißt … er spricht direkt zu Gott, der ihm ebenso direkt antwortet.“ Sie sah Chandra an. „Wenn ich richtig liege, sind Sie ein Khalsa, Mr. Singh. Ein heiliger Krieger. Was führt Sie in die Nightside? Besonders zu dieser Zeit? Haben Sie gewusst, dass der Wanderer hier sein würde?“
„Wie Sie begebe ich mich dorthin, wo ich gebraucht werde“, sagte Chandra. „Mein Leben ist eine heilige Mission, im Dienste meines Gottes Bedeutung und Erfüllung zu finden.“
„Haben Sie je versucht, Ihren Gott in der Straße der Götter zu finden?“, fragte Tamsin.
„Nein“, sagte Chandra. „Sie?“
Sie lachten beide gesittet. Unterschwellige Spannung lag in der Pfarrhausstube in der Luft. Das war nicht besonders hilfreich, also schritt ich ein.
„Wenn man es genau nimmt, sind die Entitäten auf der Straße der Götter keine Gottheiten“, warf ich ein. „Manche sind Reisende aus anderen Dimensionen, andere Psychonauten aus höheren Ebenen, wieder andere Außerirdische, Ikonen oder die Manifestation eines abstrakten Konzepts. Man sieht so ziemlich alles in der Nightside. Viele der älteren Wesenheiten sind direkte Nachfahren meiner Mutter Lilith aus der Zeit, als sie zur Hölle gefahren war, um es mit Dämonen zu treiben, um monströsen Mächten und Herrlichkeiten das Leben zu schenken. Höchstwahrscheinlich ist es um einiges komplizierter als meine Erklärung, aber es gibt Grenzen, wie viel abgefahrenen Scheiß der menschliche Geist ertragen kann.“
„Dann … sind also einige dieser Wesen mit Ihnen verwandt?“, fragte Chandra.
„Nur weitläufig“, führte ich aus. „Wir stehen einander nicht nahe. Wie so viele Beziehungen in der Nightside ist das Ganze ziemlich kompliziert.“
„Es gibt nur ein höchstes Wesen“, sagte Tamsin.
„Ja“, sagte Chandra. „In der Tat.“
„Der einzig wahre Gott hat nur ein wahres Wesen.“
„Ja“, sagte Chandra. „Da stimme ich Ihnen zu.“
„Aber Ihr Gott und der meine sind äußerst verschieden“, sagte Tamsin. „Ich predige Liebe, Verständnis und das friedliche Zusammenleben; Sie folgen dem Weg der Gewalt. Wir können nicht beide im Recht sein. Ist das der Grund, warum Sie in die Nightside gekommen sind, um den Wanderer bei seinem Werk zu beobachten … und Ihren Glauben an seinem zu messen? Denn wenn er tatsächlich ist, was er von sich behauptet, ein Mann, der vom höchsten Wesen berührt worden ist, was macht das dann aus Ihnen?“
„Jemanden, der nach der Wahrheit sucht“,
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