Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
Straße entlang auf den Wanderer zu, der sich umdrehte und Eddie nachdenklich musterte. Wie zwei Revolverhelden im Wilden Westen, die immer schon gewusst hatten, dass sie einander eines Tages gegenüberstehen würden, um ein für allemal zu klären, wer von beiden schneller zog. Der Zorn Gottes und der Punkgott des Rasiermessers standen einander endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, wobei sie einen respektvollen Abstand zueinander einhielten, und es machte den Anschein, als halte die ganze Straße den Atem an. Gottes heiliger Krieger und der besorgniserregendste Handlanger, den sich Gott jemals erwählt hatte. Die Nase des Wanderers bebte. Eddie lebte unter den Obdachlosen, und aus der Nähe konnte er schon ein ziemlich fieses Aroma verströmen. Aber als der Wanderer sprach, war seine Stimme ruhig und gemessen, ja sogar respektvoll.
„Hi, Eddie“, sagte er. „Hab’ mich schon gewundert, wann du auftauchen würdest. Ich habe schon viel über dich gehört.“
„Nichts Gutes, will ich doch stark hoffen“, antwortete Eddie mit seiner gespenstisch hohlen Stimme.
„Eigentlich solltest du ja gut finden, was ich hier tue. Dass ich hier falsche Götter zermalme und die bestrafe, die Jagd auf die Schwachen machen.“
„Mir ist ein Großteil des Abschaums, der diesen Ort hier heimsucht, scheißegal“, sagte Eddie Messer, „und ja, ich habe auch schon ein paar Götter umgelegt. Aber Dagon … ist mein Freund. Wage es nicht, ihn anzufassen.“
„Tut mir leid“, meinte der Wanderer. „Aber ich kann keine Ausnahmen machen. Ist schlecht für meinen Ruf. Die Leute würden denken, ich würde weich.“
„Verdammte Scheiße“, sagte ich und trat vor. „Das Testosteron wird hier langsam so dicht, dass man seine Initialen reinritzen könnte. Geht mal einen Schritt zurück und beruhigt euch wieder.“
Der Wanderer sah mich an. „Oder?“, fragte er freundlich.
Ich erwiderte entschlossen seinen Blick. „Willst du das wirklich herausfinden?“
„Oh, du bist echt gut“, grinste der Wanderer. „Das bist du wirklich, John.“
Ich sah Eddie Messer an. „Du hast einen Freund in der Straße der Götter? Du hast mir da was verheimlicht.“
Er zuckte andeutungsweise die Achseln, und seine Schultern hoben sich kurz fast unmerklich. „Verrätst du mir all deine Geheimnisse, John?“
„Können wir es zumindest mit Vernunft und klarem Menschenverstand probieren?“, fragte ich. „Ehe die Kacke so richtig am Dampfen ist und ich auf euch beide ernsthaft sauer werde?“
„Na gut“, willigte der Wanderer ein. „Ich bin dabei. Gib dein Bestes!“
„Die Straße der Götter dient einem bestimmten Zweck“, sagte ich, wobei ich versuchte, gleichzeitig so entschlossen, aber auch vernünftig zu klingen wie möglich. „Nicht jeder, der in die Nightside kommt, ist für den echten Stoff bereit, für wahren Glauben. Man könnte behaupten, dieser Ort hier sei Aufenthaltsort und sicherer Hafen für all die, die spirituelle Narben mit sich herumschleppen. Sie müssen erst mal wieder auf die Beine kommen und neu gehen lernen. Schritt für Schritt, aus dem Dunkel ins Licht.“
„Es gibt nur einen wahren Weg“, antwortete der Wanderer geduldig. „Es gibt Gut und Böse. Keine Graustufen. Du hast zu lange hier gelebt. Du bist zu viele Kompromisse eingegangen. Du bist weich geworden.“
„Ich nicht“, sagte Eddie Messer. „Wir sind uns gar nicht so unähnlich, Wanderer. Wir haben beide unser altes Leben mit all den menschlichen Bequemlichkeiten aufgegeben, um Gott auf gewalttätige Weise zu dienen, um die Dreckarbeit zu erledigen, um die sich sonst niemand kümmert.“
„Wenn du das alles nachvollziehen kannst, geh mir aus dem Weg und lass mich meine Arbeit tun“, forderte ihn der Wanderer auf. „Du musst hier nicht sterben.“
„Das kann ich nicht“, antwortete Eddie Messer. „So schwer es auch zu glauben ist, an diesem Ort gibt es ein paar gute Leute und ein paar gute Götter, und einer davon ist mein Freund. Wäre ich wirklich ein Mann des Guten … wenn ich einfach zur Seite träte und zusähe, wie du meinen Freund umbringst? Manchmal findet man auf dieser Straße eine zweite Chance, eine letzte Möglichkeit, aus seinem Leben etwas Besseres zu machen. Ich habe hier neue Hoffnung gefunden. Das musst du mir glauben.“
„Nein, muss ich nicht“, antwortete der Wanderer und schoss Eddie Messer in den Kopf.
Zumindest versuchte er es. Eddie Messers Hand fuhr unglaublich schnell empor, und sein Rasiermesser
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