Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
zuzuhören. Sie wusste mehr über die unsichtbare Welt, als es uns jemals möglich sein würde. „Ich höre, wie sie immer näher kommt. Sie stöhnt, singt und hasst. Es ist ein unstillbarer Hunger, eine nicht zu besänftigende Wut. Sie hat Engel vernichtet und sich an der Zerstörung von Gottes Werk ergötzt.“
„Aber kann sie den Wanderer aufhalten?“, fragte Annie Abattoir, und wir alle warteten gebannt ab, was Jessica sagen würde.
„Der Wanderer ist sowohl mehr als auch weniger als ein Engel“, sagte sie schließlich. „Er wurde geschaffen, um eine Funktion zu erfüllen, genau wie die sprechende Pistole. Wer kann schon sagen, was passiert, wenn das Himmlische und das Höllische aufeinandertreffen?“
„Nun, das war jetzt wahrscheinlich genau so hilfreich, wie zu erwarten war,“ beschwerte sich Graf Video.
„Noch nie hat jemand einen Wanderer getötet“, meinte König Haut. „Aber man kann sie brechen. Mir scheint, eine Waffe, die dazu dient, Gottes Boten umzubringen, ist genau das, was wir hier brauchen.“ Er lachte plötzlich und sein schmieriger Glanz schlug wie Flügel in der Luft. „Ich kann’s gar nicht erwarten, mir das anzusehen …“
„Du widerst mich an“, sagte Larry Oblivion.
König Haut lächelte. „Das kann ich am besten.“
„Sich direkt dem Wanderer zu stellen, ist unser letzter Ausweg“, verkündete Julien Advent entschlossen. „Ich möchte Tode vermeiden, wenn sie abwendbar sind. Es besteht immer noch die Möglichkeit, mit dem Mann vernünftig zu reden, ihm vor Augen zu führen, dass wir nicht die sind, für die er uns hält.“
„Ich glaube, das weiß er längst“, sagte ich, „und ich glaube, es ist ihm scheißegal.“
„Wir können nicht zulassen, dass er uns vernichtet“, sagte Larry Oblivion. „Wir sind die letzte Hoffnung der Nightside.“
„Ob wir wollen oder nicht“, sagte Graf Video.
„Ich kannte Ihren Vater“, sagte Julien. „Genau das hätte er gewollt. Er wäre stolz auf das, was Sie hier tun.“
„Sie haben immer schon gewusst, wann es an der Zeit ist, dreckig zu kämpfen, Julien“, sagte Graf Video. Aber er lächelte ein wenig dabei.
„Ich will den Wanderer einfach nur auf die Matte gehen sehen“, warf Annie ein. „Etwas tun, was noch nie zuvor jemand getan hat.“
„Ich glaube, so weit muss es nicht kommen“, gab sich Julien beharrlich. „Ich weigere mich zu glauben, dass Gott es zulässt, dass sein Diener gegen das Gute in den Krieg zieht, sobald man das dem Wanderer einmal klar vor Augen geführt hat.“
„Ich bin dem Mann begegnet“, warf ich ein, „und ich glaube, sein Gott ist rein alttestamentarisch. Auge um Auge, Zahn um Zahn und zur Hölle mit der Reue. Barmherzigkeit und Anteilnahme, vielleicht sogar Besonnenheit findet man in ihm nicht mehr. Er hat das alles vor langer Zeit aufgegeben, im Gegenzug für die Möglichkeit, Schuldige zu strafen.“
„Wir müssen uns behaupten“, sagte Julien. „Jeder von uns ist auf seine eigene Art mächtig. Vielleicht können wir zusammen etwas vollbringen, was bis jetzt niemand geschafft hat ...“
„Klar“, sagte Larry. „Aber he, ich bin tot. Was kann er mir noch antun?“
„Was ist mit all den Abenteurern und Schurken, die sich unten versammelt haben?“, fragte ich. „Seid Ihr bereit, sie kämpfen und sterben zu lassen? Lasst ihr zu, dass sie sich für eure Verteidigung opfern?“
„Niemand hat sie darum gebeten“, sagte Julien. „Sie sind Freiwillige, jeder einzelne von ihnen. Das ist eine Glaubenssache.“
„Genau“, sagte Larry. „Die sind ganz versessen darauf. Man könnte sie nicht mal mit einem Knüppel aus dem Haus scheuchen.“
„Natürlich“, sagte Chandra. „Wir sind Abenteurer. Helden, Krieger und Verteidiger des Lichtes. Dafür sind wir nun mal da.“
„Zumindest auf die Hälfte der Leute, die ich dort unten gesehen habe, träfe diese Beschreibung nicht einmal dann zu, wenn man sie mit einem Wagenheber in die richtige Form prügeln würde“, sagte ich. „Im Gegenteil, viele davon sind genau der Typ Mensch, zu deren Bekämpfung Sie und Ihre Freunde ursprünglich diesen Club gegründet haben.“
Chandra lachte. „Wie heißt es im Sprichwort – in der Not frisst der Teufel Fliegen?“
„Sie werden zynisch“, beschwerte ich mich. „Das steht Ihnen nicht.“
„Das passiert, wenn man zu viel Zeit mit Ihnen verbringt“, erwiderte Chandra, und wir konnten uns beide ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich habe immer noch die Hoffnung, dass
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