Nikos Reise durch Raum und Zeit - ein Roman über die Rätsel der Quantenphysik
um; er wollte sehen, woher die Stimme kam. Dort stand ein großer, weißhaariger Mann. Er trug einen langen, weißen, spitz zusammenlaufenden Bart und einen Schnurrbart, der in den Backenbart überging. Seine goldgelben, scharfsichtigen Augen kamen Niko vertraut vor. Er wusste zwar nicht, wo, aber er war sicher, sie schon einmal gesehen zu haben. Seinen Körper hatte der Mann in einen blauen Überwurf gehüllt. Hätte er noch einen spitzen Hut getragen, hätte er ausgesehen wie der Zauberer Merlin.
»Meister Zen-O!« Eldwen reagierte als Erster.
Niko rieb sich die Augen. Als er wieder zum Gericht sah, war nur noch einer der beiden Direktoren übrig geblieben: der, der entschieden hatte, dass Niko in der Quantenwelt bleiben dürfe. Der andere hatte sich in Luft aufgelöst.
»Angesichts der Umstände, verehrte Herrschaften«, sagte der Direktor des QGD , »schlage ich vor, dass der Mensch bleibt, bis wir herausgefunden haben, wie er die Superposition sehen konnte.« Niko hatte keine Ahnung, wovon er sprach. »Wenn das Gericht nichts dagegen hat, schlage ich vor, dass wir ihm eine Sondererlaubnis ausstellen, unsere Welt zu erkunden.«
Neben ihm stand Anred. Die Empörung war ihm anzusehen; er sah argwöhnisch zu Zen-O und schwieg.
Niko bekam kaum mit, wie sie das Zentrum des Quanten-Geheimdienstes verließen. Er leistete auch keinen Widerstand, als Zen-O und Eldwen ihn in den Teleportationsschrank schoben. Nach den Erfahrungen im Gerichtssaal schreckte ihn die bevorstehende Übelkeit nicht mehr.
Ein bekanntes Kribbeln durchlief seinen Körper, gefolgt von einem Gefühl der Leere im Magen, das erneut eine leichte Übelkeit hervorrief. Aber immerhin: Das zweite Mal war es schon nicht mehr ganz so schlimm.
Noch bevor er sich fragen konnte, wo sie eigentlich waren, befand er sich wieder in Eldwens gemütlichem Esszimmer, wo ihm sich unvermittelt jemand an den Hals warf. Quiona empfing ihn mit einer feurigen Umarmung – das perfekte Gegenmittel gegen die Übelkeit durch die Teleportation.
Kaum hatte sie ihn wieder losgelassen, drehte sie sich schimpfend zu Eldwen um:
»Ich bin gerade mal eine halbe Stunde weg und du bist nicht in der Lage, auf Niko aufzupassen!«
Meister Zen-O lächelte und wandte sich mit ruhiger, aber bestimmter Stimme Niko zu:
»Setz dich, Menschenjunge. Eldwen bringt dir einen radioaktiven Tee, das wird dich entspannen.«
Niko wollte sich nicht setzen.
»Mir geht es gut – ich brauche einfach nur eine Erklärung. Was zum Teufel ist da am Ende der Verhandlung geschehen? Erst hat sich der Direktor zweigeteilt und dann ist er wieder zu einer einzigen Person geworden. Bin ich jetzt völlig übergeschnappt?«
»Nein, mein Freund, du bist nicht verrückt«, sagte der Meister. »Dass du schockiert bist, ist ganz normal. Was du im Gerichtssaal mitbekommen hast, hat bisher noch kein Mensch mit eigenen Augen gesehen. Du hast einer Superposition beigewohnt.«
Quiona unterbrach ihn mit erstaunter Miene:
»Niko hat eine Superposition gesehen?«
Mit wenigen Worten erklärte Eldwen der Fee Q, was im Gerichtssaal des QGD geschehen war.
»Als du die verriegelte Tür geöffnet hast, hast du eine neue Wirklichkeit erweckt«, fuhr der Alte fort. »Bravo, mein Junge! Mir ist klar, dass dir das alles ziemlich skurril vorkommt, aber alles folgt gewissen Regeln – auch wenn diese Regeln jemandem aus deiner Welt reichlich seltsam vorkommen. Eine dieser Regeln ist das sogenannte
SUPERPOSITIONSPRINZIP ODER
PRINZIP DER ÜBERLAGERUNG.
In unserer Quantenwelt können sich Dinge an zwei Orten gleichzeitig befinden. Oder auf zwei Arten zugleich existieren …«
»An zwei Orten?«, fragte Niko. »Und wie geht das?«
»Genau das ist passiert, als du gesehen hast, wie sich der Direktor des QGD verdoppelt hat: Einer der beiden ist nach links gegangen, der andere nach rechts. Was du gesehen hast, war eine Superposition, eine Überlagerung: Ein und derselbe Direktor hat entschieden, dich auszuweisen, und zugleich glaubte er an dich. Zwei Möglichkeiten, eine Person. Genau das ist die Superposition. Die Dinge sind hier nicht schwarz oder weiß, sondern gleichzeitig schwarz und weiß.«
»Ich versteh gar nichts. Also wie? Alles geschieht gleichzeitig, im selben Moment?«
»Stell dir vor, du bist ein Fußballer und schießt einen Elfmeter im Finale der Weltmeisterschaft«, erklärte Zen-O. »In deiner Welt schießt du entweder ein Tor oder du schießt eben kein Tor: Du gewinnst oder du verlierst. In der Quantenwelt
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