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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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verwundert wie ich war, ob und was ich darauf antworten sollte, während mir Roberto verschwörerisch zuflüsterte: »Schmuck sieht aus, deine Mutter. Sehr schmuck.«
    Ich hatte mir noch nie nennenswerte Gedanken darüber gemacht, wie schmuck oder hübsch oder gut oder weniger gut meine Mutter aussah. Hätte man mich gefragt, wie sie aussieht, hätte ich gesagt: Normal, nichts Besonderes. »Wenn du meinst«, flüsterte ich zurück, und Roberto leise, aber entschieden: »Ich meine.« Nach einer kurzen Nachdenkpause wurde er etwas konkreter und durchaus schwärmerisch: »Schön Haare.«
    Die Haare meiner Mutter waren toupiert, das war auch bei vielen anderen Frauen der Fall. Aber sie waren so hoch toupiert, dass es vielleicht doch etwas Außergewöhnlicheswar. Fast dreißig Zentimeter, schätzte ich. Schön jedenfalls fand ich das nicht. Doch vielleicht waren solche Haare in Mozambique ein ausgesprochenes Attraktivitätsmerkmal.
    »Schön hoch«, sagte Roberto.
    »Ja«, bestätigte ich, »schön hoch.«
    »Karl-Heinz Nilowsky«, sprach unterdessen der Redner, »belagerte Maria Serrini. Kein Tag verging, an dem er ihr nicht bewusst über den Weg lief. Er musste dabei wohl nicht ohne Charme und Verführungskraft gewesen sein, denn obwohl Carla, mit der trefflichen Ahnung einer liebenden Mutter, der Tochter von diesem Manne abriet, vergab die arme Maria ihr unschuldiges Herz an denselbigen.«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Nilowskys Vater jemals Charme und Verführungskraft gehabt hatte. Aber so altmodisch der Redner das sagt, dachte ich, war vielleicht doch was dran.
    »Gleich nach der Heirat«, fuhr er fort, »sollte Maria Serrini in der Kneipe mitarbeiten. Allerdings vertrug sie den Zigarettenqualm nicht und bekam Hautausschlag. Also mied sie, sehr zum Leidwesen ihres Mannes, diesen Ort. Seinen Ort. Obendrein wurde sie schwanger und zog sich in die enge Zweizimmerwohnung zurück, in der sie mit Karl-Heinz Nilowsky lebte. Immer seltener verließ sie diese Wohnung und verfiel in Depressionen, während Karl-Heinz Nilowsky sich Tag für Tag und Abend für Abend und Nacht für Nacht betrank. So kam es, dass Carla Serrini, die ob des Schicksals ihrer Tochter zutiefst unglückliche Mutter, das Kind, das im Jahre 1958 geboren ward, in Liebe und Fürsorge an sich nahm.«
    Das Kind, das geboren ward – wie feierlich das klang. Wie in einem Märchen. Ich schaute zu Nilowsky, der ernst und aufmerksam zuhörte.
    »Carla Serrini«, erzählte der Redner weiter, »konnte ihre Tochter nicht erretten. Denn Maria wollte sich, aus Gründen, die niemand begriff, von Karl-Heinz Nilowsky nicht trennen. Es war« – der Redner zögerte, ehe er das Wort aussprach – »wie eine Selbstbestrafung dafür, dass Maria Serrini ihr Kind weggegeben hatte. Als Reiner seinen vierten Geburtstag feierte, starb sie. Seitdem war auch Carla Serrini eine endgültig gebrochene Frau.«
    Die Frauen in der Kapelle heulten ausnahmslos, während die Mozambiquaner ehrfurchtsvoll vor sich hin starrten. Carola hatte einen Arm um Nilowskys Schultern gelegt, was aber wegen des Höhenunterschieds zwischen den beiden eher aussah, als hätte sie den Arm an der Schulter aufgehängt. Mir fielen die Worte vom alten Nilowsky ein: »Ick hab mir jewundert, warum sie mir überhaupt jenomm’ hat, wenn sie nich mal inne Kneipe kam.« Ja, warum?, hätte ich am liebsten Reiner gefragt, fürchtete jedoch, er würde, weil er es selber nicht wusste, abweisend oder gar mit Unmut reagieren.
    »Nun wollen wir«, sagte der Redner, »unserer teuren Verstorbenen das letzte Geleit geben. Bitte erhebt euch und tretet hinaus.«

15
    Kaum hatte die Trauergemeinschaft die Kapelle verlassen und sich für den Gang zur Urnenstelle versammelt, fasste Carola Reiner und mich an den Händen, zog uns zu sich heran und sagte so leise, dass nur wir es hören konnten: »Kommt mit! Ich will euch erzählen, wie sie gestorben ist.«
    Sie ließ unsere Hände los, hüpfte ein paarmal vorfreudig im Kreis und rannte in Richtung Ausgang des Friedhofs. Nilowsky vermied es, mich anzusehen. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm nicht recht sein würde, wenn ich mitkäme. Carola drehte sich noch einmal zu uns um. »Na kommt!«, rief sie. »Worauf wartet ihr?«
    Reiner stakste los. Ich folgte ihm. Carola verfiel in einen Schlendergang, und wir gaben nun acht, nicht schneller zu gehen als sie. Die Blicke der Trauergemeinschaft, die ich im Rücken spürte, störten mich nicht. Aber bei Nilowsky war ich mir nicht

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