Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
Vom Netzwerk:
sagte Wally: »Platonisch, dit bedeutet, ohne Vögeln bedeutet dit. Dit is nämlich Lateinisch.«
    Ich staunte, dass Wally Lateinisch konnte, aber sicherlichbeschränkten sich ihre Kenntnisse auf bestimmte Worte.
    »Was hat das mit Liebe zu tun?«, entgegnete Nilowsky. »Das hat nichts mit Liebe zu tun, zwischen Mann und Frau, mit solch einer Liebe …«
    »Na, gerade und umso mehr«, unterbrach ihn Wally, »dit is nämlich höhere Liebe.«
    So etwas ausgerechnet von Wally zu hören, überraschte nicht nur Nilowsky, sondern allem Anschein nach auch Roberto, Ricardo und Pedro.
    »Ich könnte es versuchen«, sagte Nilowsky, »aber es wäre nicht ehrlich von mir, weil ich weiß, dass ich es nicht schaffen würde, das weiß ich jetzt schon, dass ich das nicht schaffen würde. Deshalb könnte ich nicht drauf eingehen. Weil’s nicht ehrlich wäre.«
    Das leuchtete mir nicht nur ein, es forderte mir auch Respekt ab. Wally zuckte mit den Schultern. »Na ja, ick meinte ja nur.« Sie fasste Ricardo an die Hüfte und sagte: »Ick muss jetzt mit Ricardo und dit Suppenhuhn inne Küche. Wir müssen dit ja erstmal ordentlich rupfen, und denn ab in ’n Kochtopp.«
    Sie ließ ihre Hand an der Hüfte, ging mit Ricardo und dem Huhn im Eimer in die Küche, und ich dachte: Ihr geht es bestimmt nicht nur ums Rupfen und Kochen.
    »Von wegen platonisch«, kommentierte Nilowsky den Abgang der beiden, es klang zu meiner Überraschung amüsiert und entspannt. Er sammelte seine plattgefahrenen Groschen ein, zog sich an und verließ mit den Blutkringeln im Gesicht die Wohnung. Wir – Roberto, Pedro und ich – folgten ihm. Aber er wollte allein sein. Und so ging auch ich allein zum Bahndamm, den Bahndamm entlang, nach Hause.

21
    Ich konnte nicht recht daran glauben, dass Hühnerblut, selbst wenn es einem Voodoo-Ritual gedient hatte, eine Wunderwirkung haben sollte. Aber Liebe – das hatte ich zumindest immer wieder mal gehört – war eine Sache voller Geheimnisse, und möglicherweise spielte sogar Hühnerblut dabei eine Rolle.
    Was mir noch viel mehr Kopfzerbrechen bereitete, war, dass ich weder Carola noch meiner Mutter verraten durfte, warum ich sie mit Blut bestrich, vorausgesetzt, es würde mir überhaupt gelingen. Im Falle meiner Mutter beschloss ich, nicht ins Schlafzimmer zu schleichen, sondern es vor ihren Augen einfach zu tun. Ach, hatte gerade Lust dazu, würde ich behaupten. Und das Blut, könnte ich hinzufügen, das stammt natürlich von mir, von wem denn sonst? Sie würde das absonderlich finden, doch nie im Leben den tatsächlichen Zweck erahnen; außer Roberto hätte ihr bereits von solcherart Ritualen erzählt. Soweit war alles klar. Nur im Falle Carolas war ich immer noch ratlos. Sie war gewissermaßen die Blut-Expertin. Also höchstwahrscheinlich auch Expertin in Zauberangelegenheiten. Reiner lässt ja absolut nichts unversucht, würde sie vielleicht sagen und das Blut sofort abwaschen, damit nicht die allergeringste Wunderwirkung von ihm ausging.
    Angesichts dieser Überlegungen stand hundertprozentig fest: Carola durfte von meiner Hühnerblutaktion keinesfalls etwas bemerken, oder zumindest durfte sie das Blut erst bemerken, wenn es seine magische Kraft bereits entfaltet hatte. Wenn bei meiner Mutter hingegen der Zauber gelänge, würde sie sich wohl von meinem Vater trennen. Der Gedanke jagte mir Angst ein. Es war nicht in meinem Sinne, dass meine Eltern sich trennten, dass Roberto mein Ersatzvater wurde, bei uns einzog und der Haarturm meiner Mutter von Tag zu Tag weiterwuchs. Ich sah meinen Vater deprimiert und hilflos vor mir. Und egal, was ich an ihm auszusetzen hatte – oder an meiner Mutter –, es wäre furchtbar, wenn der Zauber diese Folgen hätte.
    Ich beschloss, meine Mutter aus der Angelegenheit herauszuhalten und Roberto gegenüber einfach zu behaupten, ich hätte den Auftrag erfüllt. Eine Notlüge, mehr als gerechtfertigt. Am späten Abend ging ich zum Bahndamm-Eck hinunter und holte den Pfirsichkern unter der losen Platte hervor.
    Am nächsten Nachmittag kam Carola wieder zu mir nach Hause. »Wie versprochen«, sagte sie, als wir uns an der Wohnungstür gegenüberstanden. Ich hoffte, dass sie abermals hereinkommen und ihren dicken, langen Mantel ausziehen würde, sodass ich ein bisschen freie Haut für meine Blutaktion hätte.
    »Sind deine Eltern da?«, fragte sie.
    »Nein«, antwortete ich, »die sind noch auf Arbeit.«
    Carola nickte und sagte, als wäre das die logische Konsequenz: »Komm, wir

Weitere Kostenlose Bücher