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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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in ihre Unterkunft, um Völkerfreundschaft und sozialistische Solidarität noch weiter zu vertiefen. Ist ja klar, dass ich das nicht kapiere. Also wirklich. Wie bescheuert muss ich denn sein, dass ich das nicht kapiere?«
    So viel Sarkasmus hatte ich bei ihm noch nicht erlebt, und meine Mutter sagte: »Ich war nicht in der Unterkunft. Ich habe mich auch nicht ficken lassen. Obwohl er es wollte. Ich habe es abgelehnt. Vielleicht hätte ich es machen lassen sollen, um überhaupt mal wieder auf meine Kosten zu kommen. Aber du lässt mir ja lieber hinterherspionieren, statt dich« – sie machte eine Pause –, »statt dich um mich zu kümmern.«
    Ich war erleichtert, dass sie nicht wieder »ficken« gesagt hatte. Und auch mein Vater schien erleichtert. Ich glaubte sogar, so etwas wie schlechtes Gewissen herauszuhören, als er antwortete: »Ich hab eben viel zu tun. Macht alles keinen Spaß mehr. Diese Arbeitsmoral, nicht nur bei den …« – nun machte auch er eine Pause – »… ich meine, bei den Schwarzen, auch bei den anderen, das ist alles keine Arbeitsmoral mehr. Aber dass jemand kommt und mir sagt, er hat dich gesehen und alles Weitere … Ich kann mir ja nicht die Ohren zuhalten, wenn der kommt und mir erzählt …«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn meine Mutter, milde, fast sanft gestimmt. »Ich weiß. Da hast du recht.«
    Pause, Schweigen. Vielleicht vertrugen sie sich wieder. Fassten sich an, küssten sich. Ich fragte mich, wer meine Mutter verraten haben könnte und ob diese Person eventuell auch mich im Wald gesehen hatte. Und mir ging diese merkwürdige Umschreibung »auf meine Kosten kommen« nicht aus dem Kopf. Als hätte meine Mutter irgendwann einen Preis für eine Dienstleistung bezahlt, die mein Vater immer noch zu erbringen hatte. So ein Unsinn, dachte ich, auch wenn es mein Vater ihr gar nicht übel zu nehmen schien.
    Ich hörte Schritte im Wohnzimmer. Rasch öffneteich die Wohnungstür, schlug sie wieder zu und hörte meinen Vater rufen: »Junge, nicht so laut. Die Tür hält auch nicht alles aus.« Und meine Mutter: »Wo kommst du denn her? Wir haben beim Abendbrot auf dich gewartet.«
    »Ich hab mich nur mit einem Freund getroffen«, sagte ich und ging ins Bad. Ich schüttete das Hühnerblut ins Klo, spülte es hinunter und steckte das leere Fläschchen wieder ein. Sollten Reiner oder Roberto es irgendwann sehen wollen, würde ich sagen können: Hier, schaut her, kein Tropfen übrig geblieben.

24
    Seit ich mich erinnern konnte, fuhren wir über Weihnachten und Silvester nach Karpacz ins Riesengebirge. Diesmal war es für meine Eltern die große Versöhnungsreise. Schon auf der Hinfahrt flirteten und turtelten sie, als ob ich ganze Kübel voll Hühnerblut über sie ausgegossen hätte. Wir fuhren durch eine dunkelgraugrüne Dunstschicht, die von den Kohlekraftwerken in der Nähe herrührte und mir größer und schmutziger vorkam als in den Jahren zuvor. Oberhalb dieser Dunstschicht inmitten schneebedeckter Berge war die Luft verhältnismäßig sauber. Vielleicht aber war das nur eine Täuschung, denn die vielen Bäume mit den abgebrochenen Ästen vermittelten das Bild einer vergifteten Landschaft. Meine Eltern jedoch störte das alles weniger denn je.
    Am Neujahrstag am Ende eines ausgiebigen Frühstücks räusperte sich mein Vater, bevor er begann, eine Erklärung abzugeben: Er werde die Betreuung der mozambiquanischen Kollegen beenden. Und in zwei Wochen würden wir umziehen. Nach Pankow, weitab von Gestank und Bahndämmen. Aber nur drei U-Bahn-Stationen von meiner alten Schule in Prenzlauer Berg entfernt. Meinen Vater, so meine Mutter, erwarte eine neue, spannende Herausforderung in einem kleinen, mit fortschrittlichen Methoden arbeitenden Chemiebetrieb,in dem auch sie wieder als Chefsekretärin arbeiten dürfe – aber halbtags, damit sie mehr Zeit für mich habe; gerade jetzt, da ich ja in die Pubertät komme, sei das wichtig.
    Ich war nach meinem Empfinden schon längst in der Pubertät, aber mir stand nicht der Sinn danach, irgendetwas zu sagen. Wenn es darum ginge, auf den Mars zu ziehen, dachte ich, weil dort ein Chemiebetrieb sei, der mit allerneuesten Methoden arbeite, hätte ich mich wohl auch noch zu freuen.
    Ich beschloss, möglichst mein eigenes Leben zu führen, ganz gleich, wie meinen Eltern das gefiel. Und dazu gehörte auch, Nilowsky und Carola zusammenzubringen, egal, wo ich wohnen und wie viel Zeit es verlangen würde. Um das zu erreichen, musste ich zunächst Carola

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