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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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missbilligenden Blicke der Jungs. Einer von ihnen, ein großer Schlaksiger, schlug mit der Faust gegen einen Baumstamm und stellte die Musik lauter. Das Mädchen drehte ihm den Rücken zu und schaute demonstrativ in meine Richtung. Ich setzte die Flasche ab und mied seinen Blick. Ich mied auch den Blick des Mädchens. Ich wollte nicht, dass sie sieht, wie unbehaglich ich mich fühlte. »Ich muss weiter«, sagte ich nach einer Weile, drehte mich um und ging los, ohne sie oder einen von der Clique nochmal anzusehen. Ich klammerte mich an die Bierflasche, die ich immer noch in der Hand hielt.
    Am nächsten und auch am übernächsten Abend blieb ich zu Hause. Ich beschloss, nicht mehr durch den Schlosspark zu gehen. Eine Woche später – ich hatte gerade wieder vier Mark von Manuela, der Klassenbesten, kassiert – traf ich das Mädchen auf dem Weg von der Schule nach Hause. Von der gegenüberliegenden Straßenseite kam sie auf mich zu. »Na«, fragte sie, »glaubst du an Zufälle?« Ehe ich antworten konnte, fügte sie hinzu: »Das ist nämlich keiner.«
    Wir gingen nebeneinanderher, und sie erzählte mir, dass sie ein halbes Jahr mit Martin zusammen gewesen war, doch seine Eifersucht und sein Hang zur Gewalt hätten sie veranlasst, Schluss zu machen, zumal sie ihn sowieso nicht richtig geliebt habe. Sie wollte aber die Clique nicht gefährden, und deshalb sei sie bei den abendlichen Treffen unverändert dabei. Sie lächelte, schaute mich an und sagte: »Ich habe gesehen, dass du uns immer wieder beobachtet hast. Und mich besonders. Das hat mich irgendwie gefreut.«
    Ich hatte nicht sie besonders beobachtet. Doch das wollte ich ihr nicht sagen. Also nickte ich.
    »Ja, das hat mich gefreut«, sagte sie aus vollem Herzen. »Da es niemand außer mir mitgekriegt hat, würde ich vorschlagen: Es bleibt unser Geheimnis.«
    Ich hatte den Eindruck, sie erwartete, dass ich mich dafür bedanke. Also bedankte ich mich, und sie fragte: »Wann sehen wir uns wieder?«
    »Morgen?«, antwortete ich, verblüfft wie ich war.
    Von da an sahen wir uns fast täglich. Meist ein oder zwei Stunden, bevor sie den Abend mit ihrer Clique verbrachte, die ich nicht mehr beobachtete, sondern weiträumig mied. Sie hieß Martina, und auch das, sagte sie, habe dazu beigetragen, dass sie sich mit Martin liiert hatte. »Eigentlich war ich nur verliebt in diesen Zufall«, meinte sie. Ich fragte, woher sie das Wort »liiert« kenne, oder ob es einfach so sei, dass sie Fremdwörter mag. Sie wisse nicht, woher, sagte sie und staunte, dass ich auf so was achtgab. Wahrscheinlich habe sie es irgendwo aufgeschnappt. Wahrscheinlich war es einfach nur das. Mit Fremdwörtern habe sie eigentlich nichts am Hut.
    Wir gingen spazieren. Oder ins Kino. Oder in eineKneipe namens Rampe . Nichts in der Kneipe hatte mit einer Rampe zu tun, und auch der Wirt wusste nicht, woher dieser Name kam. Die Kneipe, behauptete er, heiße schon seit Jahrhunderten so. Obwohl wir beide erst fünfzehn waren, bekamen wir hier Bier und Wein. Wir mussten nur versichern, langsam, in ganz kleinen Schlucken zu trinken. Eines Abends, als wir angetrunken aus der Rampe kamen und zum Vollmond hinaufschauten, nahm Martina mein Gesicht in ihre Hände, zog es zu sich heran und küsste mich. »Du musst deine Lippen öffnen«, flüsterte sie mir zu. Ich öffnete meine Lippen, und ihre Zunge stieß gegen meine Zähne. Ich hatte Angst, auf ihre Zunge zu beißen, und unterdrückte einen Schluckreflex. Das ist er also, dachte ich, der erste Kuss. Ich schob meine Zunge an ihre heran, damit der Kuss ein richtiger war. Genauer gesagt: So, wie ich mir einen richtigen Kuss vorstellte. Ich versuchte, mir meine Ernüchterung nicht anmerken zu lassen.
    Am nächsten Abend saßen wir wieder in der Rampe . Der Wirt brachte uns zwei Bier, wie immer mit viel zu viel Schaum. Martina trank einen großen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen, legte ihren Kopf schräg und gestand mir, dass sie sich in mich verliebt habe. Um etwas Zeit zu gewinnen, trank ich ebenfalls einen großen Schluck. Dann behauptete ich, dass es mir umgekehrt genauso ginge. Nach dem Bier verließen wir die Kneipe, liefen Hand in Hand durch die Straßen, küssten uns, und Martina meinte, dass sie keine Lust mehr habe, mit ihrer Clique rumzuhängen. »Die sind alle so unzufrieden«, sagte sie, und es klang für mich, als wäre ich in ihren Augen das absolute Gegenteil von Unzufriedenheit. »Jürgen undHansi«, sagte sie,

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