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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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du?«, antwortete ich verwundert. »Was ist es denn?«
    Mit einem neugierigen Lächeln reichte sie mir einen Brief. »Der war heut in der Post.«
    Ich schaute auf den Absender: Carola Worgitzke, Klement-Gottwald-Allee. Keine Hausnummer. »Warum gehst du an meine Post?«, herrschte ich meine Mutter an.
    »Na, hör mal«, erwiderte sie, »ich hab ihn ja nicht gelesen. Nun hab dich mal nicht so, oder was ist los mit dir?«
    Ich antwortete nicht, und meine Mutter verließ das Zimmer. Ich starrte auf den Brief. Mein erster Gedanke war, dass Nilowsky aus dem Knast geflüchtet war und dass ich ihm dabei helfen solle, irgendwo unterzutauchen. Oder ihm und Carola, die, betört von seinem Mut, mittlerweile seine Braut geworden war. Ich hatte Angstdavor, in etwas hineingezogen zu werden, das mein Leben verändern würde. Das mich womöglich sogar kriminell werden ließ. Zugleich freute ich mich, auch wenn ich es mir nicht recht eingestehen wollte, endlich einmal wieder ein Lebenszeichen von Carola bekommen zu haben.
    Ich öffnete den Brief. Las sehr schnell. Und noch einmal, langsamer.
    Lieber Markus,
    ich hoffe, Dir geht es gut. Ach, Quatsch, ich bin mir sicher, dass es Dir gut geht. Mir übrigens auch. Ich arbeite inzwischen als Landschaftsgärtnerin. Bin für die Parks in Pankow und Weißensee zuständig. Ich möchte ein Fest feiern. Das Altweibersommerfest. Der Altweibersommer ist nämlich alle Jahre wieder meine Lieblingszeit. Ich gebe Dir noch Bescheid, wann Du kommen kannst und wohin. Ich hoffe, Du kommst. Carola.
    Kein Wort über Nilowsky. Und schon gar nichts Besorgniserregendes. Im Gegenteil: Das Wort »Altweibersommerfest« fand ich so leicht und schön, dass ich dachte: Ein glückliches Carola-Wort.
    Ich hielt den Brief in meinen Händen, und auf einmal spürte ich, wie eine Wärmewelle durch meinen Brustkorb ging und mein Herz heftig schlug. Über zwei Jahre war es her, dass ich Carola zum letzten Mal gesehen hatte. Es kam mir vor wie zwei Tage. Und vor allem: Dieses Gefühl von Verliebtheit war wieder da. Als wäre es nie weg gewesen, hätte sich nur versteckt, bereit, mit aller Wucht zurückzukehren. Ich versuchte, dagegenanzukämpfen, doch es gelang mir nicht. Ich hatte das sonderbare Gefühl, mit Martina fremdgegangen zu sein. Als hätte ich den ersten Kuss nur Carola geben dürfen. Unsinn!, sagte ich mir. Sie gehörte, wenn überhaupt zu einem Mann, nur zu Nilowsky.
    Ich hoffte, Carola würde sich nicht mehr bei mir melden. Nie mehr. Gleichzeitig wartete ich Tag für Tag auf eine Nachricht von ihr, zerbrach mir den Kopf darüber, was ich ihr zu ihrem Altweibersommerfest schenken sollte. Nach zwei Wochen hatte ich eine Idee. Ich ging in die nächste Buchhandlung und erkundigte mich nach einem Buch über Tantra. Die Buchhändlerin schaute mich fragend an. »Indische Wohlfühlkunst, Körper und Seele im Einklang«, erklärte ich.
    »Ja, ja, ich weiß schon, was das ist, aber so etwas wird bei uns nicht verlegt«, antwortete sie und schien das ehrlich zu bedauern. »Ich kann Ihnen aber einen Bildband bestellen. Bombay, Kalkutta, Delhi …«
    »Ein Bildband ist nicht Tantra«, stellte ich fest und ärgerte mich sogleich über die Blödheit dieser Bemerkung, die ich einzig und allein meiner Aufgeregtheit zuschrieb. »Ich meine«, fragte ich, »haben Sie auch Bildbände über Afrika?«
    »Da haben wir allerhand.«
    »Auch Mozambique?«
    »Selbstverständlich«, bestätigte die Buchhändlerin. »Mozambique ist ja ein befreundetes Land.«
    Nein, dachte ich, das kann ich nicht schenken. Das wirkt womöglich wie eine Anspielung. Als würde ich Carola unterstellen wollen, mit Roberto und den anderen etwas gehabt zu haben, obwohl ich mir sicher war, dass das nicht der Fall gewesen war.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich. »Aber ich kann mich nicht entscheiden. Auf Wiedersehen.«
    Eine Viertelstunde ging ich zu Fuß, bis ich die Klement-Gottwald-Allee erreicht hatte. Ich wollte in der Nähe von Carola sein, sie vielleicht sogar zufällig treffen. Zumindest sehen, wo genau sie wohnte. Ich lief die Straße hoch und runter, doch an keinem Klingelschild konnte ich den Namen Worgitzke entdecken. Ich war überzeugt davon, ihn übersehen zu haben, und lief erneut die Straße entlang. Wieder nichts. Ich schwitzte von der Altweibersommerwärme und war erschöpft und traurig. Dass sich Carola vor ihren Eltern verborgen hielt oder vielleicht auch vor Nilowsky, sofern er nicht mehr im Knast war, konnte ich ja verstehen. Aber warum

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