Nimm doch einfach mich
war, wieder mit J.P. zusammen zu sein, war sie nicht hundertprozentig sicher, dass er sie nicht wieder fallen lassen würde. Bei ihrem Glück würde Baby Carlyle vielleicht wirklich als Mann zurückkommen, und J.P. würde daraufhin entdecken, dass er in Wirklichkeit schwul war.
Na ja, gepflegt und gut gekleidet ist er ja schon mal …
»Okay.« J.P. nickte verständnisvoll. »Ich ruf dich nachher noch mal an, ja?« Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und gab ihr einen Kuss, der nach Eukalyptus und Pfefferminz schmeckte – ein Geschmack, den sie immer als sehr tröstlich empfand. »Bis später, Kleines«, rief er und winkte ihr noch zu, bevor er durch die gläserne Tür im Gebäude verschwand.
»Bis später«, murmelte Jack. Plötzlich fröstelte es sie und sie zog ihre lederne Bomberjacke von Marc by Marc Jacobs enger. Sie hatte sie im Ausverkauf auf einer dieser schäbigen Designer-Schnäppchen-Webseiten bestellt – ein absoluter Fehlkauf und nur eine weitere Mahnung daran, dass sich tatsächlich vieles in ihrem Leben verändert hatte, seit sie und J.P. sich getrennt und wieder zusammengefunden hatten.
Sie ging weiter die Fifth entlang und verlangsamte ihren Schritt erst, als sie an dem Gebäude vorbeikam, in dem die Carlyles wohnten. Sie blickte an der Fassade bis zum obersten Stockwerk empor, aber die Fenster waren alle unbeleuchtet und außerdem hätte sie von der Straße aus sowieso nichts erkennen können. Nicht dass es dort oben etwas Interessantes zu sehen gegeben hätte. Schließlich wa ren Owen und sie nicht wirklich zusammen gewesen.
Ein paar Minuten später stand sie vor ihrer Stadtvilla (sie betrachtete sie immer noch als ihre, obwohl mittler weile eine andere Familie darin wohnte) auf der 63. Straße zwischen Fifth und Madison, wo sie sich umziehen wollte, bevor sie zum Tanztraining ging. Sie stahl sich durch den Hintereingang ins Haus, stieg schnell die Treppe zur Mansarde hoch und hoffte, dass ihre Mutter Vivienne, eine französische ehemalige Primaballerina mit ausgeprägtem Hang zur Dramatik, nicht zu Hause war.
»Ah, chérie ! Da bist du ja endlich!« Vivienne stürzte aus dem Schlafzimmer in den winzigen Flur hinaus, wo sie vor lauter Hektik einen klapprigen Garderobenständer umwarf. Ihre roten Haare standen wild vom Kopf ab und umloderten ihr Gesicht wie ein außer Kontrolle geratenes Lagerfeuer.
»Hi, Mom.« Jacks Laune sackte in den Keller. Ihre Mutter trug ein Kleid, das sie auf einem Musterverkauf von Diane von Fürstenberg erstanden hatte und das an ein hawaiianisches Mu'umu'u erinnerte – ein Fehlkauf par ex cellence . Obwohl es an ihrem ausgemergelten Ex-Tänze-rinnen-Körper hing wie ein Zelt, konnte man ihr eine gewisse Eleganz nicht absprechen; sie sah ein bisschen aus wie Norma Desmond, die verrückte alternde Schauspielerin aus dem Film »Sunset Boulevard«.
»Heute Paris – morgen die ganze Welt!«, jubelte sie. »Schon in wenigen Tagen werde ich bei Sonnenuntergang einen echten Sauvignon trinken.« Zwischen ihren dünnen Fingern hielt sie nachlässig eine Gitane. Eines Tages würde sie während eines ihrer theatralischen Anfälle noch das ganze Haus abfackeln.
Na und? Dann könnten sie wenigstens in eine etwas hübschere Wohnung umziehen.
»Gute Reise.« Jack zuckte gelangweilt die Achseln. Vivienne flog so oft wie möglich nach Paris, um sich mit ihren früheren Ballerina-Freundinnen zu treffen und die guten alten Zeiten durchzuhecheln, als sie alle noch mit steinreichen und steinalten Männern ausgegangen waren. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte Vivienne Jacks Vater ken nengelernt.
Sie schob sich an ihrer Mutter vorbei ins Wohnzimmer und warf ihre Tasche auf die scheußliche spinatgrüne Couch. Die Mansarde war mit Viviennes schlimmsten Inneneinrichtungs-Fehlgriffen eingerichtet und sah aus wie das Möbellager der Heilsarmee.
»›Gute Reise‹! Ha! Meine kleine comedienne !«, rief Vivienne glucksend und folgte Jack ins Wohnzimmer. »Wir reisen gemeinsam, chérie . Ich habe die Zusage für meine Show bekommen. Jetzt musst du nur noch deinen bâtard von Vater anrufen, damit er alles Nötige für deinen Schulwechsel veranlasst.« Sie fuchtelte wild mit der Zigarette in der Luft herum.
Jack erstarrte. Vor Kurzem hatte Vivienne ganz beiläufig erwähnt, dass sie eine Rolle in irgendeiner französischen Soap in Aussicht hätte, aber Jack war natürlich davon ausgegangen, dass sie das nur geträumt oder mit einem Theaterstück verwechselt hatte, das sie sich
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