Nimm doch einfach mich
obwohl sie das Gefühl hatte, sich auf der Stelle übergeben zu müssen. Jack hatte keine Ahnung, wie schlimm der Artikel über sie werden würde.
»Obwohl ich verstehen könnte, wenn du es tun würdest. Hör mal, ich weiß, dass ich mich dir gegenüber ziemlich ätzend verhalten hab. Aber so bin ich nun mal.« Jack zuckte die Achseln, warf ihre Zigarette auf den Boden und trat sie aus. »Tut mir trotzdem leid.« Sie starrte in die kühle Nacht hinaus.
»Danke.« Avery zitterte plötzlich. Jack hatte sich offenbar nicht darum gerissen, das Gesicht der Cashman-LoftsWerbekampagne zu sein … und bald würde ganz New York glauben, sie hätte mit dem Vater ihres Freunds geschlafen, um das Apartment von ihm zu bekommen und ihre Karriere zu pushen. Plötzlich schwante ihr, dass der eigentliche Teufel in dieser Geschichte James war – ganz egal was für ein brillanter Journalist er war – und nicht Jack. Okay, sie war alles andere als ein Engel. Aber sie war längst nicht so niederträchtig, wie Avery sie dargestellt hatte.
»Hast du vielleicht Lust, woanders hinzugehen?«, fragte Jack schüchtern. »Wir könnten so tun, als würden wir irgendwo ganz in Ruhe ein ausführliches Gespräch für euren Artikel führen. Dagegen kann schließlich niemand was haben. Und ich brauch dringend noch was zu trinken.« Sie lächelte zaghaft.
Avery nickte. Das war der erste wirklich gute Vorschlag des ganzen Abends.
»Dann nichts wie los!« Jack drehte sich auf dem Absatz um und Avery folgte ihr. Ein paar Gläser Champagner würden ihr helfen, James, McKenna, Ticky und diesen leidigen Metropolitan – Artikel einfach zu vergessen.
Denn wenn man etwas vergisst, ist es so, als würde es gar nicht existieren.
herbstputz
»Baby?«, hallte Edies Stimme am Freitagabend durch den Flur.
»Ja?« Baby wich geschickt dem schwarzen Familien-Kater Rothko aus. Sie war bis in die tiefsten Tiefen ihres Kleiderschranks vorgedrungen, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wie sie Lynns Anweisung umsetzen sollte. Überall lagen Berge von Vintage-Kleidern herum; Kartons, in die sie seit dem Umzug aus Nantucket keinen einzigen Blick mehr geworfen hatte, waren gefährlich schief entlang der hinteren Wand gestapelt; Fotos lagen über den ganzen Parkettboden verstreut.
»Was machst du denn da?«, fragte Edie, als sie in den begehbaren Kleiderschrank trat. »Oh!« Sie bückte sich und hob einen senfgelben Wollponcho auf. »Der hat mal mir gehört!« Sie drückte den Poncho verzückt an sich, dann zog sie ihn sich über die blonden Haare, die sie mittlerweile wieder zu einem Bob trug. »Na, was sagst du? Steht er mir noch?«
Baby betrachtete ihre Mutter kritisch. Der Poncho ließ Edie nicht unförmig aussehen, sondern betonte im Gegenteil ihre Größe und Schlankheit und verlieh ihr irgendwie einen coolen Touch.
Die Betonung liegt auf irgendwie .
»Absolut, Mom.« Baby nickte anerkennend. »Willst du ihn zurückhaben?«
»Nein, nein.« Edie schüttelte den Kopf. »Der stammt noch aus der Zeit, als ich in Vermont auf einem Bio-Bauernhof gearbeitet habe. Das war ein paar Jahre bevor ihr drei zur Welt gekommen seid. Zu viele Erinnerungen.« Edie zuckte mit den Schultern. Sie zog den Poncho wieder aus und wuschelte sich anschließend durch die Haare, als wollte sie die Vergangenheit abschütteln.
»Echt?«, fragte Baby überrascht. Anscheinend hatte ihre Mutter unbewusst genau das getan, was Lynn ihr selbst geraten hatte, und sich von allem getrennt, das ihr nicht guttat. War es also nichts als gesunder Menschenverstand?
»Nein, ich will ihn wirklich nicht mehr.« Edie zauste Baby durch die Haare. »So, mein Schatz – dein Bruder und deine Schwester sind ausgegangen und ich werde mich jetzt auch ein bisschen ins Nachtleben stürzen. Ich treffe mich wieder mit Remington …!«, fügte sie mit einem verschwörerischen Lächeln hinzu. »Ist es denn in Ordnung für dich, alleine hierzubleiben? Du wirkst in letzter Zeit ein bisschen durcheinander. Ich wollte dich nicht darauf angesprochen, weil ich weiß, dass du die Antworten auf deine Probleme lieber selbst findest und von dir aus wieder auf den richtigen Weg zurückstolpern möchtest. Das hast du von mir«, sagte Edie liebevoll.
»Mir geht es gut«, beteuerte Baby und meinte es auch so. Zumindest wusste sie, dass es ihr schon sehr bald wieder gut gehen würde. Aber ihre Mutter hatte schon recht – sie wollte ihre Probleme selbst lösen, und dabei konnte ihr kein Therapeut der Welt helfen. Sie
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