Nimmerklug in Sonnenstadt
aus Versehen tat."
„Ich weiß gar nichts."
„Doch, du weißt es. Vor mir kannst du es nicht verbergen, mein Lieber."
„Wer bist du, daß man nichts vor dir verbergen kann?" fragte Nimmerklug.
Die Stimme klang wieder spöttisch. „Erkennst du mich nicht? Ich bin dein Gewissen."
„Ach, du bist das?" rief Nimmerklug. „Na, dann sei fein still. Niemand hat doch etwas gesehen, und niemand wird mir etwas sagen."
„Du hast Angst, daß dich jemand ausschilt? Und vor mir fürchtest du dich nicht? Dazu hättest du allen Grund. Ich werde dich quälen, daß du nie wieder froh wirst. Du wirst noch merken, daß dir leichter ums Herz wird, wenn jemand von deiner Tat erfährt und dich dafür bestraft. Steh jetzt auf und erzähle
Buntfleck alles."
„Hör mal", sagte Nimmerklug. „Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?
Warum hast du vorher geschwiegen?
Hockst da verborgen und schweigst so lange, bis ich etwas Falsches g etan habe, und dann quälst du mich!“
„Ich bin nicht so schuldig, wie du glaubst”, rechtfertigte sich das Gewissen. „Es kommt daher, daß ich bisher noch zu klein war, und eine schwache Stimme habe. Außerdem ist es ringsum oft zu laut. Besonders tagsüber. Die Autos und Autobusse machen Krach, von allen Seiten dringen Gespräche und Musik auf mich ein. Deshalb unterhalte ich mich mit dir am liebsten des Nachts, wenn es draußen still ist und nichts meine Stimme erstickt."
„Ach, davor hast du Angst!" Nimmerklug lachte. „Wir wollen dich gleich einmal ersticken."
Er drückte wieder auf einen Knopf im Schränkchen und begann, dem Märchen vom Kaulbarsch zu lauschen. Das Gewissen verstummte einen Augenblick, aber bald vernahm Nimmerklug wieder seine Stimme: „Du liegst jetzt in einem weichen Bett unter der Decke, hast es warm und gemütlich. Weißt du, was der Knirps macht, den du in einen Esel verwandelt hast? Wahrscheinlich liegt er in einem Stall auf Stroh. Denn die Esel schlafen nicht in Betten. Vielleicht muß er auch auf der kalten Erde unter freiem Himmel übernachten. Er hat ja keinen Herrn, niemand ist da, der für ihn sorgt."
Nimmerklug ächzte zornig und wälzte sich unruhig hin und her. „Was für ein dummes Mädchen!" brummte er. „Kann nicht mal eine Stimme ersticken!"
Er drückte auf andere Knöpfe, um andere Märchen zu hören, entdeckte dann an der Seitenwand des Schränkchens Musikknöpfe und lauschte verschiedenen Märschen, Polkas und Walzern. Aber die Stimme verstummte keinen Augenblick und redete weiter auf ihn ein. Da drückte Nimmerklug auf den Knopf, unter dem „Morgengymnastik" stand.
Und mitten in der Nacht erscholl der Ruf: „Fertigmachen zur Morgengymnastik! Öffnen Sie das Fenster, lüften Sie den Raum. Wir beginnen mit Laufübungen. Atmen Sie tief aus. H-u-und ... eins, zwei, drei, vier!"
Nimmerklug marschierte barfuß im Zimmer herum und ging dann zu den Sprungübungen über: Beine auseinander, Beine zusammen, Beine auseinander, Beine zusammen ... Danach kamen die Rumpfbeugen und Kniebeugen an die Reihe. Aber das Gewissen gab nicht nach und tuschelte ihm hartnäckig in die Ohren: „Wecke Buntfleck! Wecke Buntfleck!"
Schließlich trat Nimmerklug an Buntflecks Bett und rüttelte ihn an
der Schulter.
„Steh auf, Buntfleck, ich muß dir etwas sagen!"
Aber Buntfleck schlief so fest, daß man eine Kanone hätte abschie -
ßen müssen, um ihn zu wecken.
Da fiel Nimmerklug ein, daß sich Buntfleck vor nichts mehr fürch -
tete als vor kaltem Wasser. Er holte einen Becher Wasser und spritzte
es Buntfleck ins Gesicht. Der fuhr hoch.
„Was ist das für eine Strafe!" jammerte er und wischte sich die Augen.
„Ich hab mich heute doch schon gewaschen!"
„Hör mal, Buntfleck, ich will dir was erzählen. Aber du mußt mir
versprechen, Pünktchen nichts davon zu sagen."
„Warum sollte ich ihr was sagen?"
„Nein, versprich es mir zuerst."
„Gut, ich verspreche es dir, aber sag es schnell. Ich bin müde."
„Weißt du, Buntfleck, heute habe ich einen Knirpserich in einen Esel
verwandelt."
„Na und? Mußt du mich deshalb mitten in der Nacht wecken?"
„Aber er wollte wahrscheinlich gar kein Esel werden."
„Ist doch egal, ob er es wollte!"
„Nein, es war trotzdem häßlich von mir, Buntfleck. Du mußt mich
dafür ausschimpfen."
„Warum?"
„Weil mich mein Gewissen quält. Vielleicht wird mir dann leichter
ums Herz."
„Wie soll ich dich denn ausschimpfen?"
„Denk dir doch was aus."
„Mir fällt nichts ein. Ich kann gar nicht
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