Nimmerklug in Sonnenstadt
Pfeifstengel durch Sonnenstadt. Alle halbe Stunde rannte Wachkugel in Pfeifstengels Wohnung; während der übrigen Zeit rief er unaufhörlich die Krankenhäuser an.
Aber Pfeifstengel konnte nirgendwo entdeckt werden, und am nächsten Morgen meldete die Zeitung sein geheimnisvolles Verschwinden. Hätte Pfeifstengel die Zeitung gelesen, wäre er unsagbar erstaunt gewesen über den Wirbel, der um ihn gemacht wurde. Aber er las an diesem Tage keine Zeitung. Als er am nächsten Tage erwachte, sah er auf die Uhr und wunderte sich, daß die Zeiger auf elf zeigten. Er erinnerte sich, daß er sich um zehn Uhr schlafen gelegt hatte, und nahm nun an, er hätte nur eine Stunde geschlafen und nicht fünfundzwanzig. Sein Kopf tat immer noch weh, und außerdem hatte er schrecklichen Hunger, was weiter kein Wunder war, da er ja so viele Stunden geschlafen und dabei gar nichts zu sich genommen hatte.
Er ging in die Küche, trat zu einer Klappe in der Wand und drückte auf einige Knöpfe, unter denen folgende Inschriften standen: „Suppe", „Grütze", „Milchbrei", „Kompott", „Brot", „Pasteten", „Nudeln", „Tee", „Kaffee". Danach öffnete er die Klappe, setzte sich auf einen Stuhl und wartete. Nach etwa zwei Minuten erschien ein kleiner Küchenaufzug, fast wie ein Eisschrank sah er aus. Pfeifstengel nahm die Teller mit Suppe, Milchbrei und Grütze, die Puddingschüssel, die Kaffeekanne, den Zuckernapf, die Schale mit Pasteten und Brotscheiben heraus und begann heißhungrig zu essen.
Solche Küchenaufzüge gab es in allen Sonnenstädter Häusern. Allerdings machten die Einwohner nur selten davon Gebrauch, denn sie aßen viel lieber in den Restaurants, wo es unterhaltsamer war.
Pfeifstengel aß sich satt, ging wieder zu Bett und hätte wohl bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen, wenn ihn die Wohnungsinhaber, die um Mitternacht heimkehrten, nicht geweckt hätten.
Die Wohnung gehörten zwei Freunden — Witzbold und Fladen. Witzbold sagte nach jedem Satz: „Ehrenwort, oder ich will nicht Witz bold heißen!" Fladen dagegen besaß keine auffallenden Eigenschaf ten. Beide arbeiteten als Kraftfahrer in einer Bonbonfabrik. Sie fuh ren die Bonbons in die Verkaufsstellen. An jenem Tage, als der
Polizist Pfeifstengel aus Versehen in ihre Wohnung kam, hatten sie nicht daheim übernachtet, weil sie gleich nach der Arbeit zu ihrem Freund Klöppel gegangen waren, um seinen Einzug in eine neue Wohnung mit zufeiern. Am nächsten Morgen waren sie geradewegs in ihre Bon bonfabrik gefahren und nach der Arbeit bei einem anderen guten Freund — Buddel — eingekehrt, der ebenfalls den Einzug in eine neue Wohnung feierte.
Auch dieses Fest sollte eigentlich bis zum nächsten Morgen dau ern, doch da die Freunde die letzte Nacht schlaflos verbracht hatten, entließ Buddel sie ausnahmsweise früher, das heißt, um elf Uhr abends.
„Fein, daß wir endlich zu Hause gelandet sind, oder ich will nicht Witzbold heißen, Ehrenwort!" sagte Witzbold. „Wir essen aber noch ein paar Happen, bevor wir schlafen gehen."
„Was wahr ist, muß wahr bleiben!" Fladen gähnte. „Man muß daheim noch etwas zu sich nehmen, auch wenn man anderswo ganze Berge aufgefuttert hat."
Die Freunde drückten auf einige Knöpfe des Küchenaufzugs. Wenig später saßen sie am Tisch und aßen. Sie kauten nur langsam,
weil ihnen die Augen zufallen wollten, und unterhielten sich schlaf trunken. Als Witzbold satt war, stand er auf und ging ins Zimmer. Dort zog er sich im Dunkeln aus und legte sich ins Bett. Dann kam Fla den. Als er sah, daß kein Licht brannte, tastete er sich in der Finster nis zu seinem Bett, entkleidete sich und wollte hineinsteigen. Da merkte er, daß schon jemand drinlag. Er glaubte, Witzbold sei aus Ver sehen in sein Bett geklettert.
„Was hast du in meinem Bett zu suchen?" fragte er Witzbold.
„Was sagst du?" fragte Witzbold aus seinem eigenen Bett zurück.
„Nanu?" Verdutzt streckte Fladen in der Dunkelheit die Hand aus und tastete über Pfeifstengels Brust.
"Weißt du, bei mir liegt einer", sagte er zu Witzbold.
„Wer denn?" forschte Witzbold erstaunt.
Fladen knipste den Schalter an. Die Freunde betrachteten Pfeif stengel, der noch immer wie ein Toter schlief.
„Wer ist das? Kennst du ihn?" fragte Fladen.
„Ich sehe ihn zum erstenmal, oder ich will nicht Witzbold heißen!"
„Komisch!" brummte Fladen. „Ich sehe ihn auch zum erstenmal! Und
dabei schläft er, als läge er in seinem eigenen Bett."
„Das ist verdächtig,
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