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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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baumeln ließen.
    »Welche Schule besuchst du?«
    »Das Kafka-Gymnasium.«
    Sie musste grinsen. »Klingt richtig lustig.«
    Jetzt war ich es, der ein Gesicht zog. »Als mich meine Eltern dort anmeldeten, da wusste ich noch nicht, was Kafka so angestellt und geschrieben hat. Vermutlich wäre ich sonst schon misstrauisch geworden, als ich zum ersten Mal das Gebäude betrat.«
    »Und was tust du, wenn du nicht in der beschwingten Kafka-Schule bist?«
    »Dies und das.«
    Greta ging mit knirschenden Schritten neben mir her. Die bunte Norwegermütze hatte sie bis über die Ohren gezogen und den ebenfalls bunten Schal wie wild um den Hals geschlungen, so dass gerade ihre Nasenspitze dahinter hervorlugte.
    »Du bist wirklich sehr gesprächig.«
    »So bin ich eben.«
    Trotzdem. Sie gab sich nicht mit dieser Antwort zufrieden. »Was magst du?«
    Ohne zu überlegen antwortete ich: »Comics.«
    Sie blieb stehen. Ihr Atem war feiner Nebel in der kalten Luft. »Wow!«
    »Wow?«
    Sie bestätigte: »Wow!«
    »Normalerweise bekomme ich nur zu hören, dass dies nicht gerade die angesagteste Beschäftigung ist.«
    »Was?«
    »Comics zu lesen. Mit sechzehn.« Mühelos hätte ich eine Vielzahl dummer Sprüche zitieren können. »Bei den anderen Jungs kommt es eben nicht gut an.« Ein weiteres Argument, das für den Spitznamen gesprochen hatte. Arthur Gordon Pym war ein seltsamer Eigenbrötler gewesen.
    »Was genau liest du?«
    Ich zuckte die Achseln. »Das Übliche. McKean, Moore, Eisner.«
    »Und im Moment?«
    »Armstrong.«
    » Blanketts? «
    Ich lächelte freudig. »Liegt oben im Turm in meiner Tasche.«
    Beeindruckt sagte sie erneut: »Wow!«
    Die Tatsache, dass sie Craig Armstrong kannte, wertete ich als gutes Omen. Blanketts war eine wunderschöne Liebesgeschichte und in zauberhaft schlichten Bilden erzählt. Außerdem gab es viel Schnee in der Geschichte.
    »Nun ja«, stellte ich klar, »in meiner Klasse kommen Comics gar nicht gut an. Die besonders Schlauen lesen Rilke und Nietzsche. Intellektuelles Zeug ist momentan voll angesagt. Natürlich auch Kafka und Hesse.«
    »Schwarz tragende Nihilisten, die Angst davor haben, fröhlich zu sein?«
    »Mein Deutschlehrer bemerkte vor einiger Zeit süffisant kopfschüttelnd, dass es eine Schande sei, dass jemand, der einen Namen mit solch literarischer Vergangenheit trage, seine Zeit damit vergeude, dahingekritzelte Bildergeschichten anzuschauen. Ja, genau das hat er gesagt. Anschauen. Nicht lesen.«
    »Dummköpfe, Idioten, Schwachköpfe, Pimpfe«, schimpfte sie. »Allesamt. Sie sollten wissen, dass es immer die Geschichte ist, die zählt. Egal in welcher Form.« Und als sie die nächsten Worte aussprach, da verlor ich mich ganz in den hellen Augen. »Ich zeichne selbst Comics.« Unsicher wartete sie eine Antwort ab. »Nicht besonders gut«, gab sie verlegen zu. »Na ja, ich kann dir welche zeigen. Nachher.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Wenn du möchtest.«
    »Klar möchte ich.«
    »Es sind Geschichten, die mit Burg Karfunkelstein zu tun haben.«
    Irgendwie schienen alle, die hier lebten, auf die eine oder andere Art und Weise mit Geschichten verbunden zu sein. War das seltsam? Hätte es mir zu denken geben sollen? Selbst heute kann ich diese Frage nicht beantworten. Der Gedanke, dass Greta Grillparzer Comics zeichnete, schien mit einem Mal das einzige Weihnachtsgeschenk zu sein, das mir in diesem Jahr zuteil werden sollte. Dachte ich. Mir war, als habe ich jemanden gefunden, nach dem ich vielleicht mein ganzes Leben lang hätte suchen müssen.
    »Es wäre toll, wenn du sie mir zeigst.«
    Verlegen sahen wir uns an.
    Von Ferne rief der Rabe etwas in den Wald hinein.
    »Ich zeig dir erst einmal den Tierfriedhof«, meinte sie. »Wir sind bald da. Er liegt gleich hinter dem Friedhof.«
    Still gingen wir nebeneinander her.
    Einem schmalen Hohlweg folgten wir, der uns bergauf führte, bis wir auf eine mannshohe Mauer aus Bruchstein stießen, die uns den weiteren Weg versperrte.
    »Hier endet der Weg«, sagte Greta.
    Die Mauer umschloss einen kleinen Friedhof. Windschiefe Grabsteine ragten dort aus der Erde, verwittert und von dunklem Moos überzogen, teilweise gesplittert und mit Schnee bedeckt. Gusseiserne Kreuze und Marienstatuen, engelsgleiche Wesen mit verzerrten Gesichtern, die ihre langen Finger flehend gen Himmel richteten. In einigen dieser Hände lagen angeknabberte Äpfel, in anderen konnte ich große Körner erkennen.
    »Das ist Vogelfutter«, erklärte

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