Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
wirklich nicht nötig.« Durch das projizierte Abbild des Gewitters über der Bucht hindurch beobachtete Merlin, was seine Welt erschütterte. Regentropfen peitschten durch das offene Fenster, trafen Merlins Gesicht wie Gischt auf hoher See. »Bei mir ist alles in bester Ordnung.«
»Nein, ist es nicht«, widersprach Nahrmahn.
»Doch, ist es.« Merlin schloss die Augen. Ein neu aufzuckender Blitz ließ sein Profil an der gegenüberliegenden Wand erscheinen, scharf wie ein Schattenriss. »Ich bin unsterblich, Nahrmahn. Ich bin eine Maschine, selbst wenn ich mich immer noch für Nimue Alban halte. Was könnte mir denn schon etwas ausmachen?«
Gequält verzog Nahrmahn das Gesicht, als er die Untertöne in der Stimme wahrnahm: Erschöpfung, Schmerz.
»Lasst das, Merlin«, sagte er leise. »Das dürft Ihr einfach nicht tun!«
»Was denn?« Nun klang Merlins Stimme härter, fast schon zornig. »Das? Was ist das denn, was ihr alle mich nicht tun lassen wollt?«
»Wisst Ihr«, ließ Nahrmahn die Frage unbeantwortet, »ich nehme an, auf ganz Safehold gibt es niemanden, der besser versteht, was mit Euch los ist als ich. Ihr meint, Ihr wäret eine Maschine, die sich einbildet, ein Mensch zu sein?« Der Emeraldianer stieß ein raues Lachen aus. »Was bin denn dann ich? Ich bin noch nicht einmal eine Maschine, Merlin. Ich bin nur ein Gedanke im Verstand Gottes … und eines Computers, den Ihr gebaut habt.«
Nun war es an Merlin, gequält das Gesicht zu verziehen. Die Augen jedoch öffnete er immer noch nicht.
»Ich will mich wirklich nicht beklagen«, fuhr Nahrmahn fort, als hätte er Merlins Gedanken gelesen. »Ich habe viel verloren. Aber ich habe noch viel, viel mehr gewonnen – vor allem, wenn man sich anschaut, was die Alternative zu meiner derzeitigen Lage gewesen wäre.« Sein Lachen gewann unerwartet seine Leichtigkeit zurück. »Aber meine besondere Situation gestattet mir, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten als andere … und sie verschafft mir auch ungleich mehr Zeit zum Nachdenken. Ist das nicht genau der Grund, weswegen Ihr mir einen so großen Teil der Auswertung aller nachrichtendienstlichen Informationen übertragen habt? Aber wisst Ihr was? SNARC-Berichte sind nicht das Einzige, worüber ich nachdenke. Manchmal denke ich auch über meine Freunde nach. Über Menschen, die mir am Herzen liegen. Und in letzter Zeit habe ich sehr viel über Euch nachgedacht.«
»Nahrmahn, bitte …«, setzte Merlin an. Doch dann verbiss er sich jede weitere Bemerkung.
Er erhob sich aus dem Sessel und trat ans Fenster. Mit beiden Händen umklammerte er auf Schulterhöhe den Fensterrahmen und ließ die ganze Macht des Unwetters auf sich einwirken. Einzelne Windböen peitschten ihm Regentropfen fast waagerecht entgegen und durchweichten seine Uniform. Er aber ließ es einfach geschehen.
»Merlin«, ergriff Nahrmahn leise erneut das Wort, »Ihr könnte nicht das Gewicht der ganzen Welt allein auf Euren Schultern tragen. Ihr könnt es einfach nicht. So einfach ist das. So wunderbar Eure Technologie auch sein mag, und so wunderbare Dinge diese ›Maschine‹ auch vollbringen kann, in der Ihr lebt, Ihr seid immer noch nur einer, einer allein in einer Welt von vielen. Ihr könnte nicht Unmengen gleichzeitig ausrichten. Und was noch viel wichtiger ist: Ihr könnte auch nicht Unmengen ertragen .«
»Wir ertragen, was wir ertragen müssen«, erwiderte Merlin müde. Der Blick leer, spiegelte sich ein Blitz in seinen Augen.
»Und manchmal brechen wir unter dem zusammen, was wir zu ertragen versuchen, Merlin. Manchmal versuchen wir Lasten zu schultern, die nicht für uns bestimmt sind. Und warum tun wir das? Entweder weil wir fest davon überzeugt sind, sie seien es eben doch , oder weil wir voller Verzweiflung versuchen, derartige Lasten all jenen von den Schultern zu nehmen, die wir lieben. Ihr, Merlin Athrawes, tut beides! Und das … darf … so … nicht … weitergehen.«
Stille folgte, durch das Toben des Gewitters betont. Sie schien ewig zu währen. Schließlich senkte Merlin den Kopf.
»Ich kann die Verantwortung niemand anderem aufbürden, Nahrmahn – selbst wenn ich das wollte. Ich bin derjenige, der diesen Krieg ausgelöst hat – und ich habe gewusst, was ein Glaubenskrieg bedeuten würde. Anders als jeder andere auf diesem Planeten habe ich es von Anfang an gewusst . Ich wusste, dass es zu unnötiger Grausamkeit käme, zu Hassverbrechen, zu Hungersnöten … das alles habe ich von Anfang an gewusst,
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