Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
weiß Gott genug Zeit!«
In gespielter Genervtheit angesichts des unablässigen Papierkrams verdrehte er die Augen, als er an dem jungen Unterpriester vorbei Irys geradewegs anblickte. Damit wollte er sie ein wenig aufheitern. Doch die Prinzessin brachte nur ein pflichtschuldiges Lächeln zustande.
»Sehr wohl, Eure Eminenz«, antwortete Ushyr leise und raffte seine Aufzeichnungen zusammen. »Hoheit.« Er verneigte sich vor Irys und zog sich dann fast lautlos zurück.
»Ein sehr guter Sekretär, der junge Bryahn.« Mit der Hand deutete Staynair auf eine Bank in seiner Kabine und lud Irys so ein, Platz zu nehmen. Oberhalb dieser Bank befand sich das Fenster zur Heckgalerie: zweifellos das Prunkstück dieser ansonsten fast schmucklosen kleinen Kabine. »Eigentlich ist er einfach nur ein guter Mensch . Ich sollte ihn für ein paar Jahre eine Pfarre übernehmen lassen. Dort würde er die nötigen Erfahrungen sammeln, um später dann den bischöflichen Ring zu tragen, den ich schon jetzt an seiner Hand sehe. Bedauerlicherweise bin ich entschieden zu selbstsüchtig, ihn gehen zu lassen, nachdem ich ihn mir so schön eingearbeitet habe. Ich habe wirklich keine Lust, mit einem Ersatzmann gleich wieder von vorn anzufangen, Gott bewahre!«
Wieder lächelte Irys, schon ein wenig ungezwungener als eben noch. Dann nahm sie auf der Bank Platz. Das Fenster stand offen; frische, klare Luft strömte in die kleine Kajüte. Irys wandte den Kopf zur Seite, genoss die Brise an ihrer Wange und blickte auf die Wellen hinaus, auf denen munter das Sonnenlicht funkelte. Mehrere Sekunden blieb sie schweigend sitzen. Staynair rückte seinen Stuhl ein wenig zur Seite, um seiner Besucherin besser in die Augen blicken zu können. Dann schob er seine Hände in die Ärmel seiner Soutane und wartete geduldig.
Endlich wandte sich Irys ihm zu.
»Ich scheine etwas länger zu benötigen als erwartet, um zur Sache zu kommen, Eure Eminenz.«
Sie klang reumütig, und sofort schüttelte Staynair abwehrend den Kopf.
»Gespräche sind wie Samen, Hoheit. Sie erblühen stets zur genau rechten Zeit.«
»Ist das eine Sichtweise, die Ihr aus dem Glauben gewinnt, Eure Eminenz? Oder entstammt sie Eurer … öhm … Reife?«
»Sie meinen Betagtheit?«, fragte er freundlich und lächelte, als er das Funkeln in den Augen seiner Besucherin erkannte. »Für jemanden Ihres bescheidenen, um nicht zu sagen: zarten Alters fühlt es sich gewiss an, als brauche man Ewigkeiten, endlich ein Ziel zu erreichen. Da ich mehr als dreimal so alt bin wie Sie – um wie viel mehr, wollen wir jetzt nicht weiter erörtern –, habe ich gewiss ein wenig mehr Geduld gelernt. Außerdem«, sein Tonfall wurde noch sanfter, »habe ich auch festgestellt, dass manch Gewichtiges in erstaunlichem Maße leichter wird, wenn man es mit jemand anderem teilt.«
»Das hoffe ich sehr«, erwiderte Irys und blickte erneut aus dem Fenster. Dann sprach sie so leise weiter, dass ihre Worte kaum zu verstehen waren. »Abgesehen von Phylyp habe ich niemanden mehr, mit dem ich über Gewichtiges sprechen könnte, und das schon seit … ach, seit immer.«
»Verzeihen Sie mir, meine Liebe«, fragte er und klang fast zärtlich, »aber würden Sie über das, was Sie bedrückt, vielleicht lieber mit Pater Bahn sprechen?«
»Nein.«
Sie sprach das Wort sehr leise aus. Ihr Kopfschütteln aber hatte etwas unerwartet Heftiges. Unvermittelt blickte sie dem Oberhaupt der Kirche von Charis in die Augen.
»Nein«, wiederholte sie deutlich entschiedener. »Ich möchte ihn nicht in die Zwangslage bringen, mit dem zurechtzukommen, worüber ich mit Euch sprechen muss, Eure Eminenz.«
»Das klingt ein wenig bedrohlich«, meinte Staynair und suchte ihren Blick.
»Nur, wenn man sich um seine unsterbliche Seele sorgt, Eure Eminenz.«
»Ah.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und kippte ihn ein wenig nach hinten. »Nun, Hoheit, bislang sind mir nur sehr wenig Anzeichen dafür aufgefallen, Ihre unsterbliche Seele könnte in Gefahr sein.«
»Tatsächlich? Obwohl ich die Tochter Hektors von Corisande bin?«
»Sie sind die Tochter eines Vaters, der Sie, was auch immer man ihm sonst vorwerfen mag, sehr geliebt hat«, erwiderte Staynair freundlich. »Und ich finde, alles in allem sind Sie eine außergewöhnliche junge Frau – das bemerkt man allein schon daran, wie Sie mit Ihrem Bruder umgehen.«
Mehrere Herzschläge lang blickte Irys den Erzbischof schweigend an. Dann neigte sie in einer Geste der Dankbarkeit kurz
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