Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
geschützt gewesen waren, geradewegs in die Nacht hinausgeritten.«
Langsam schaute sich Lainyr um, blickte mit düsteren, kalten Augen die Bankreihen entlang. Thirsk fragte sich, wie viel vom Bericht des Bischof-Vollstreckers der Wahrheit entsprach – falls überhaupt ein Körnchen Wahrheit darin war. Der Admiral fragte sich auch, ob der Gottesmann selbst ein einziges Wort davon glaubte. Falls nicht, hatte er auf jeden Fall seinen Beruf verfehlt: Ihm hätte eine glänzende Karriere als Bühnenschauspieler offengestanden.
»Sie sind gen Osten geritten«, fuhr der Prälat mit kalter, tonloser Stimme fort. »Sie ritten nach Osten, bis zum Herzogtum Yarth, bis sie den Sarm erreichten. Dort trafen sie mit mehreren Hundert charisianischen Marineinfanteristen zusammen. Diese waren mit einer ganzen Flottille kleinerer Boote den Sarm hinaufgekommen, während Graf Charlz’ Truppen abgelenkt wurden: In der gänzlich schutzlosen Stadt Sarmouth war es zu Vergewaltigungen und Plünderungen gekommen, ehe sie mutwillig dem Erdboden gleichgemacht wurde. Einem einzelnen Zug delferahkanischer Dragoner ist es gelungen, die Entführer abzufangen. Doch diese wackeren Männer gerieten in einen Hinterhalt: Hunderte von Charisianern hatten sich in den Wäldern verborgen gehalten und den Dragoner-Zug fast bis auf den letzten Mann abgeschlachtet. Einer Hand voll Männern ist jedoch die Flucht gelungen … und diese Männer wurden Zeugen einer weiteren kaltblütigen Schandtat: der Ermordung eines weiteren geweihten Priesters Gottes! Dabei hatte dieser Priester nichts anderes im Sinn, als eine junge Maid und ihren hilflosen Bruder aus den Händen derjenigen zu retten, die die Mörder ihres Vaters sind!
Dann gelangten Athrawes und die anderen Charisianer den Sarm entlang bis nach Sarmouth. Von dort aus gingen sie dann an Bord eines charisianischen Kriegsschiffs, das sie zweifellos zu Cayleb und Sharleyan nach Tellesberg bringt.«
Erneut schüttelte der Bischof-Vollstrecker den Kopf. Kummervoll legte er die Hand an das Szepter vor seiner Brust.
»Es bricht mir fast das Herz, mir auch nur einen Moment lang vorzustellen, wie es den beiden unschuldigen Opfern ergehen mag, wenn sie in die Hände der Charisianer fallen«, fuhr er dann leise fort. »Ein Junge, der kaum zehn Jahre alt ist? Ein Mädchen, das noch keine zwanzig Jahre zählt? Allein, ohne jeden Schutz, in den Händen der gleichen blutbesudelten Ketzer, die auch schon den Vater und den älteren Bruder ermordet haben! Der rechtmäßige Fürst von Corisande, gefangengesetzt in einem gottlosen Kaiserreich, das sein Fürstentum erobert und geplündert hat? Gefangen in dem Kaiserreich, das schon weiß Langhorne wie viele unschuldige Kinder Gottes den gefühllosen Klauen ihrer gotteslästerlichen ›Kirche‹ überantwortet hat? Wer weiß, welchen Druck man dort auf den rechtmäßigen Prinzen von Corisande ausüben wird! Welche Bedrohungen wird Prinz Daivyn dort über sich ergehen lassen müssen, welche Entbehrungen – welche Folter? Zu welchen Schandtaten werden Cayleb und Sharleyan greifen, um ihr hilfloses Opfer gefügig zu machen? Gibt es denn überhaupt etwas, vor dem Cayleb und Sharleyan zurückschrecken?« Wieder schüttelte Lainyr den Kopf. »Eines sage ich euch, meine Söhne – es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese hilflosen Kinder gezwungen sein werden, all die Lügen zu wiederholen, die ihre Häscher ihnen in den Mund legen.
Damit niemandem der Gedanke kommt, das sei etwas anderes als das Endergebnis einer von langer Hand geplanten, sorgsam durchdachten Strategie: Lasst uns das Augenmerk auf den Zeitpunkt richten, zu dem diese Entführung erfolgt ist! Daivyn und Irys wurden ihren Beschützern genau in dem Moment entrissen, da Greyghor Stohnar plante, die Siddarmark an Shan-wei persönlich zu verschachern. Könnt ihr euch vorstellen, meine Söhne, welche Konsequenzen es gehabt hätte, wenn sein schändlicher Plan aufgegangen wäre? Da hören wir, dass in einem der wahrhaft großen Königreiche von Safehold Rebellion und offene Abtrünnigkeit ausgebrochen sind. Und im gleichen Moment heißt der rechtmäßige Regent von Corisande die brutale Eroberung seines Fürstentums durch die Charisianer ›spontan und aus freien Stücken‹ gut. Könnt ihr euch vorstellen, wie die Leichtgläubigen und Schwachen unter den Kindern von Mutter Kirche darauf wohl reagieren? Und welcher Junge in einem derart zarten Alter hätte sich geweigert, die Worte auszusprechen, zu denen man ihn
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