Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
legte sie ihm die Hand auf den Unterarm, und ernst fuhr sie fort: »Ich danke Euch. Dafür, dass Ihr Daivyn und mein Leben gerettet habt.«
Die andere Hand legte sie ihrem kleinen Bruder auf die Schulter. Merlin tauschte einen ernsten Blick mit ihr, ehe er sich erneut verneigte, dieses Mal deutlich tiefer.
»Es war mir eine Ehre, Euch zu Diensten zu sein«, sagte er leise. »Und Euch beide nun hier zu sehen – und zu sehen, dass jemand …«, er blickte auf den sonnengebräunten Daivyn hinab, »… in der Zwischenzeit mindestens drei Zoll zugelegt hat, ist mir Belohnung genug.«
»Im Augenblick ist es auch die einzige Belohnung, die wir Euch anbieten können«, erwiderte Irys. »Ich hoffe allerdings, dass sich das zu gegebener Zeit ändern wird.«
»Das wird nicht nötig sein, Hoheit.«
»Das weiß ich.« Irys lächelte. Sie hatte die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit in der Entgegnung des Seijin wahrgenommen. Jetzt sah Athrawes erneut Daivyn ins strahlende Kindergesicht. »Aber es ist mir – und auch Daivyn – wichtig, dem Rest der Welt zu zeigen, wie tief wir in Eurer Schuld stehen.«
Wortlos verneigte sich Merlin ein weiteres Mal, um sich nun mit Irys und Daivyn an seiner Seite seinen Monarchen zuzuwenden.
Endlich stand Irys vor den beiden vielleicht mächtigsten Monarchen Safeholds, denen dieser Umstand bemerkenswert wenig bewusst schien.
Beide waren mehrere Jahre älter als die Prinzessin von Corisande. Trotzdem wirkte das Kaiserpaar auf Irys geradezu absurd jung angesichts all dessen, was sie bereits vollbracht hatten – und angesichts der vielen Feinde, die sie sich bereits gemacht hatten. Cayleb Ahrmahk war etwas größer und breitschultriger, als Irys gedacht hatte. Aber er war immer noch ein gutes Stück kleiner als Merlin Athrawes. Die mit Smaragden besetzte goldene Kette, die ihn als König von Charis auswies, funkelte prächtig im Sonnenschein. Sharleyan war einen Kopf kleiner als ihr Gemahl. Nichts an dem schlanken, beinahe schon zierlichen Körper der Frau ließ vermuten, dass sie bereits ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ihr seidiges Haar war so pechschwarz, dass es im Sonnenlicht hier und da, wenn sich die Kaiserin bewegte, smaragdgrün schimmerte. Es wurde von einem schlichten Diadem zusammengehalten, dem einzigen Zeichen ihrer hohen Würde. Ihre Augen waren ebenso braun wie die Caylebs, die Nase kräftig und ein klein wenig zu krumm. Eine klassische Schönheit war Sharleyan nicht. Aber das hat die Kaiserin von Charis auch nicht nötig , ging es Irys durch den Kopf – nicht bei der unverkennbaren Charakterstärke und der Intelligenz, die man schon in ihrem Blick erkennen konnte, als dieser Irys und ihren kleinen Bruder traf.
Mehrere Sekunden schauten die beiden Frauen einander schweigend an. Dann holte Irys tief Luft und drückte Daivyn noch einmal sanft die Schulter. Gehorsam folgte er und ging neben ihr gemessenen Schrittes auf die Terrasse zu. Der Blick des Jungen verdunkelte sich; Irys spürte seine Anspannung. Sie selbst war gefasst, beinahe schon gelassen. Nur jemand, der sie sehr gut kannte, las Anspannung in ihrem Blick. Phylyp Ahzgood, Graf Coris, folgte den beiden mit zwei Schritten Abstand. Er schien ebenso gefasst wie seine Prinzessin. Wortlos ließen Cayleb und Sharleyan die drei Corisandianer nähertreten.
Schließlich hatten sie die Terrasse erreicht und stiegen die flachen Stufen empor. Coris und ein plötzlich sehr ernsthaft dreinblickender Daivyn verneigten sich, Irys hingegen machte einen formvollendeten Knicks. Dazu mit einer Geste aufgefordert, richteten sich die drei Corisandianer wieder auf und blickten das Kaiserpaar an.
»Willkommen in Tellesberg, Prinz Daivyn«, sagte Cayleb schließlich und blickte dem Jungen geradewegs in die Augen. »Sharleyan und mir ist durchaus bewusst, dass Ihr und Eure Schwester zutiefst beunruhigt seid.« Er lächelte. »Deswegen haben wir es vorgezogen, Euch hier zu begrüßen, nicht in einer deutlich … förmlicheren Umgebung.« Kurz wanderte sein Blick zu Irys und Coris, ehe er ihn wieder auf Daivyn richtete. »Die Lage ist sehr … kompliziert, Daivyn, und ich weiß, dass Euer ganzes Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde. Ich weiß, dass Eure Schwester und Ihr Furcht einflößende Dinge durchzustehen hattet, und dies trotz Eurer Jugend! Aber mein Vetter Rayjhis war auch noch sehr jung, als ihm Ähnliches widerfuhr. Es gehört zu den Tragödien dieser Welt, dass Kindheit niemanden vor schlimmen Erfahrungen schützt.
Mein
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