Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
anders sähe. Sie alle wussten auch, was ihnen widerführe, sollten sie je der Inquisition in die Hände fallen. Grund genug zur Nervosität, auch wenn jeder der Männer von seiner Arbeit überzeugt war.
Doch der Mann, der unmittelbar neben der riesigen Maschine stand, schien bemerkenswert immun gegen solche Sorgen. Die ganze Zeit über hatte er den Blick nicht von der bizarren Konstruktion gelassen – genauer gesagt: von einem versiegelten Glasrohr an deren Seite.
Stahlman Praigyr war ein kleiner, zäher, wettergegerbter Mann mit außergewöhnlich langen Armen. Deutlich war zu erkennen, dass er sich die Nase nicht nur einmal im Leben gebrochen hatte. Wann immer er lächelte, blitzte eine beachtliche Zahnlücke auf: Zwei Schneidezähne fehlten. Doch heute lächelte er nicht. Wieder und wieder wischte er sich nervös die Hände an einem ölverschmierten Tuch ab. Die Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen und betrachtete aufmerksam die Flüssigkeitssäule, die im Inneren des Glases immer weiter aufstieg. Dabei sah Praigyr aus wie eine Katzenechse, die vor einem Spinnenrattennest lauerte.
Abrupt richtete er sich auf und warf einen Blick über die Schulter.
»Druck ist aufgebaut, Sir«, meldete er Howsmyn. Der Gießereibesitzer blickte Zosh Huntyr an, seinen Leitenden Handwerksmeister.
»Alles bereit?«
»Aye, Sir«, erwiderte Huntyr. »Nahrmahn?«
Nahrmahn Tidewater, Huntyrs Erster Assistent, nickte knapp, hob die rechte Hand und schwenkte als Zeichen für den Testbeginn eine kleine Fahne rasch im Kreis. Dröhnend ertönte zur Warnung der Umstehenden zudem ein Glocke. Das galt vor allem der Mannschaft, die vor dem nächstgelegenen Hochofen stand.
»Jederzeit, Meister Howsmyn«, sagte Huntyr dann. Howsmyn nickte Praigyr zu.
»Das ist Ihr Liebling, Stahlman, legen Sie los!«
»Jawohl, Sir! « Praigyrs breites Grinsen enthüllte die Zahnlücke, als der Handwerksmeister die Hand an das glänzende Bronzerad am Ende eines langen Stahlschaftes hob. Er drehte es, den Blick dabei immer noch auf das Druckmessgerät gerichtet. Zischend entwich Dampf, als das Drosselventil sich öffnete.
Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann setzten sich die Kolben der gewaltigen Zylinder, die unter dem rechteckigen Gehäuse verborgen waren, allmählich in Bewegung. Sie drehten sich um die Kreuzkopfgelenke, mit denen sie an den Pleuelstangen befestigt waren, die ihrerseits zur Kurbel führten, der Kröpfung der Kurbelwelle. Mit ihrer Bewegung drehten sie Letztere dann, ähnlich wie man mit einer Bohrwelle ein Loch durch die Spanten eines Schiffes fräste. Doch hier ging es nicht um einen von Hand betriebenen Bohrer: Dies war Safeholds erste groß angelegte Dreifachexpansions-Dampfmaschine.
Als Dampf aus dem Hochdruckzylinder in den Zylinder mittleren Drucks strömte, bewegten sich die Kolben schneller und schneller, und beim Übergang vom einen Zylinder zum nächsten wurde der Dampf expandiert. Der Kopf des Kolbens im mittleren Zylinder war sehr viel breiter als der des Hochdruckzylinders. Denn nur bei einer größeren Angriffsfläche konnte der Dampf mit geringerem Druck seine gesamte Energie übertragen. Und wenn der Zylinder mit dem mittleren Druck seine Bewegung zum Abschluss gebracht hatte, strömte der Dampf weiter in den Niederdruckzylinder, den größten der drei. Im Betrieb machte die Maschine beachtlichen Lärm. Doch die Kurbelwelle drehte sich schneller und schneller, und einer der Arbeiter vor dem Gebläseofen schwenkte nun seinerseits eine Flagge im Kreis.
»Sie läuft!«, rief Huntyr. Dann klappte er den Mund zu, biss sich auf die Lippen und lief feuerrot an. Doch den anderen schien der unerwartete Gefühlsausbruch nichts auszumachen. Sie alle waren ohnehin fasziniert davon, dem Geräusch zu lauschen, das nun aus dem Inneren des Hochofens drang: dem Zischen entweichender Luft. Es wurde lauter und lauter und übertönte bald beinahe schon den ohrenbetäubenden Krach der Dampfmaschine selbst. Die dampfgetriebenen Gebläse des Druckluftsystems waren größer und leistungsstärker als alles, was bislang in den Delthak-Werken konstruiert worden war. Sie waren sogar noch kräftiger als die von den Hydraulikspeichern angetriebenen Hochöfen. Howsmyn strahlte übers ganze Gesicht, als Tairham seinem Kollegen Huntyr auf die Schulter klopfte. Je schneller die Dampfmaschine arbeitete, desto lauter wurde das Zischen der Druckluft.
»Nun«, übertönte Wylsynns Stimme Dampfmaschine und Gebläse, »explodiert ist sie zumindest
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