Nina 04 - Nina und das Raetsel von Atlantis
Wasser fiel in einem sprudelnden Vorhang herunter und wehte feuchte, frische Windstöße zu ihnen. Roxy schloss die Augen und dachte an ihre Eltern in Venedig. »Recht ist es, die Regeln des Guten zu befolgen«, sprach sie ihren Gedanken aus.
Sobald sie dies gesagt hatte, kräuselte sich die Wasseroberfläche des Sees und ihre eben ausgesprochenen Worte erschienen in der Schrift des Sechsten Mondes.
Dann war Fiore an der Reihe. Genau wie Roxy dachte sie an ihre Mama und ihren Papa und eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab. Sofort wurden auch ihre Worte im See sichtbar.
»Recht ist es, nicht zu befehlen, sondern harmonisch miteinander zu leben.«
Dodo räusperte sich, nahm all seinen Mut zusammen und rief: »Recht ist es, auf sein Herz zu hören und den Hass auszulöschen!«
Als Letzter war Cesco an der Reihe. An seinem schmutzigen, zerrissenen Pulli zupfend, sagte er: »Recht ist es, zu kämpfen, um die Gesetze der Gerechten zu bewahren.«
Das Wasser des Wasserfalls leuchtete immer heller. Wie auf einer flüssigen Tafel bedeckten die Worte der Kinder die Oberfläche des Sees.
Nun warteten alle darauf, dass Nina ihr Gedicht verfasste.
Max und die vier Freunde drehten sich zu ihrer Freundin um.
Sie wirkte fröhlich. In ihren großen blauen Augen spiegelte sich die leuchtende Kraft des Wassers. Vor sich sah sie wie in einem Film erneut all die Briefe, die sie von ihrem Großvater bekommen hatte. Sie erinnerte sich an die wichtigen Lehren, die er ihr hinterlassen hatte, dachte an die Ratschläge des Systema Magicum Universi und an die Bücher von Birian Birov und Tadino de Giorgis. In ihrem Kopf machte sich schließlich ein vertrautes Bild breit: ihr Vater und ihre Mutter, wie sie zusammen auf dem Sofa im Rosensaal saßen. Und dann waren da noch die Gesichter von Ljuba, Carlo und Eterea. Von allen hatte sie etwas über das Leben gelernt.
In aller Ruhe hob sie den Kopf und trug das vor, was ihr Herz ihr sagte:
»So wie die Rose nicht endet mit ihren Blütenblättern und
ihrem Stängel, denn sie erfreut uns mit ihrem Duft,
und der Schmetterling nicht endet mit seinen Flügeln und
seinem Flug, denn er schenkt uns die Schönheit,
und die Erde nicht endet mit den Bergen und den Ozeanen,
denn sie birgt geheime Schätze,
so ende auch ich nicht mit meinen Armen und meinen Füßen, denn ich habe ein Herz, das Liebe verströmt.
Wir menschlichen Wesen können unendlich sein, denn wir sind fähig zu denken.«
Max klatschte ergriffen in die Hände und die vier Freunde lächelten Nina mit Tränen der Rührung in den Augen zu.
Plötzlich lenkte ein Geräusch die Gruppe ab. Etwas Seltsames geschah mit dem Wasserfall. Er leuchtete immer stärker, sodass er mit einem Mal nicht mehr aus Flüssigkeit, sondern aus reinem Licht zu bestehen schien. Der helle Schein war so blendend, dass die Freunde kaum ihre Augen offen halten konnten. Auf einmal bildete sich in der Mitte des Sees eine schäumende Welle, aus der eine gewaltige silberne Harfe auftauchte. Die Saiten des Instruments bewegten sich wie von Zauberhand und ließen noch einmal die Musik der achten Note erklingen.
»Bei allen Schokoladen der Welt!«, rief Nina andächtig.
Max streckte jubelnd die Arme aus und rief: »Die Harfe wird unx zum vierten Geheimnix bringen.«
Dicht beieinanderstehend starrten die fünf Freunde auf das riesige Musikinstrument, das inmitten des Sees schwebte.
Auf einmal senkte sich aus dem Wasserhimmel über ihnen ein Seil herab, an dem eine grüne Schriftrolle hing. Die Freunde verfolgten es mit ihren Blicken. Nina nahm das aufgewickelte Blatt Papier in Empfang, löste es vom Seil und bemerkte, dass auf ihm die Trugstechernadel abgebildet war.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie sich laut.
»Vielleicht sollst du den Trugstecher benutzen«, mutmaßte Fiore.
»Ja, sieht so aus. Aber wo und wie soll ich ihn verwenden?« Nina drehte sich zu Max, doch der Androide zuckte nur ratlos mit den Schultern. Er war ihr keine Hilfe.
Währenddessen glitt die Harfe über das Wasser zum Ufer des Sees, bis sie direkt vor den Kindern trieb.
Cesco berührte sie vorsichtig. Und dabei fiel ihm etwas Sonderbares auf. »Nina, sieh mal, sie hat Löcher in ihrem Rahmen. Versuch doch mal, die Nadel hier reinzustecken.«
Die junge Alchimistin zog schnell den Trugstecher aus der Tasche ihrer Latzhose und stach ihn in das erste Loch.
Doch nichts passierte.
Also versuchte sie es weiter mit der zweiten, dann der dritten und der vierten
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