Nina, so gefällst Du mir
ist ja die reinste Autobahn!“
„Ja, die ist funkelnagelneu. Erst ein Jahr alt. Die verdanken wir dem Hochgebirgshotel ‚Blaufall’. Du weißt ja, die Straßenkreuzer brauchen sehr viel Platz, und hier nach ‚Blaufall’ kommen ja nur Dollarungetüme.“
„Ja, natürlich! ‚Blaufall’ ist offenbar nicht weit von euch?“
„Nicht ganz fünf Kilometer. Aber diese Kilometer, die haben es in sich, die gehen fast senkrecht nach oben. Wir sitzen am Hang, weißt du, allerdings hoch oben am Hang. Und ‚Blaufall’ liegt tatsächlich schon im Gebirge. Der Weg macht also einige ganz schöne Kurven bis nach oben. Ich kann dir sagen, das sind ziemlich tolle Serpentinen.“
„Also nichts für einen Spaziergang“, sagte Nina und versuchte, ihre Stimme so alltäglich wie möglich klingen zu lassen.
„Nein, es sei denn, du bist darauf aus, deine Schuhsohlen so schnell wie möglich durchzulaufen. Es führt ein Fußweg durch den Wald und aus dem Wald hinaus und über ein Moor. Der ist wirklich schön. Da lohnt es sich zu gehen. Und er führt nach ‚Blaufall’ hinauf. Wenn du also unter allen Umständen das Bergschloß besichtigen willst…“
„Ach ja! Es muß ja ganz ulkig sein, es sich einmal von weitem anzusehen, weißt du. Ich habe so viel davon gehört…“
„Nicht den tausendsten Teil von dem, was wir gehört haben, das kann ich dir flüstern. Und gesehen! Ich habe nicht gedacht, daß es in dem kleinen Norwegen so viele reiche Leute gibt! Du solltest bloß einmal die Autos sehen, die zum Wochenende hier raufgondeln, und du solltest die müden und übernächtigten Gesichter hinter dem Steuer sehen, wenn sie zurückkommen, und du solltest wissen, wie die Geldscheine in der Bar nur so flattern – und wie diese Schafsköpfe den ganzen Tag über daliegen und ihren Rausch ausschlafen, um die ganze Nacht wieder durchzuzechen. Nein, da lobe ich mir doch eine hübsche und alltägliche Pension, wo die Leute hinkommen, weil sie die Natur lieben und das Fjell. Wir haben immer nette und schlichte Menschen. Gott sei Lob und Dank!“ Nina tat das Herz so weh, so weh! Einen solchen Ort hatte sich Gunnar also für seinen Urlaub ausgesucht! Gewiß, es war ja auch keine große Sache für ihn. Wenn einer so viel Geld hatte wie er – und vielleicht tranken und bummelten ja nicht alle – Gunnar verbrachte doch bestimmt auf keinen Fall die Tage im Bett und die Nacht an der Bar…
„Wieso weißt du über ‚Blaufall’ so gut Bescheid, Grete?“
„Ach, ab und zu haben wir Gäste, die durch ein reines Mißverständnis in ,Blaufall’ gelandet sind. Sie glaubten, daß sie in ein sportliches Hochgebirgshotel kämen. Und statt dessen landeten sie also nichtsahnend in diesem mondänen Müßiggängermilieu. Die flüchten dann und kommen zu uns und erzählen kopfschüttelnd von Champagnerströmen und Kaviargebirgen – und von den Rechnungen. Und dann essen sie unsere selbstgemachten Bratklopse und Mamis guten bürgerlichen Grießpudding und scheinen sich dabei wohl zu fühlen.“
„Ja, erzähle doch mal von euch, Grete. Deine Mutter besorgt also das Kochen?“
„Ja, und führt die Bücher und stellt den Haushaltsplan auf und schreibt die Listen für die Besorgungen und unterhält sich mit den Gästen, wenn es nötig ist, und schreibt Rechnungen und nimmt Beschwerden entgegen…“
„Aha, Beschwerden kommen also auch?“
„ Na klar! Das ist nicht zu vermeiden, wenn man eine Ferienpension betreibt. Da gibt es immer mal eine alte Dame, die in ihrem Zimmer friert, oder jemanden, der keinen Kohl verträgt, und jemanden, der seine Grütze nicht mag und samstags eine Extraverpflegung haben muß. An dergleichen gewöhnt man sich. Ja, und dann haben wir in der Küche eine Hilfe, die kocht, wenn Mama ausnahmsweise einmal in der Stadt ist oder etwas anderes zu tun hat. Und dann haben wir ein Mädchen, das eigentlich zum Tischdecken und Servieren angenommen ist. Aber nachdem sie ein paarmal die Buttermesser auf die Sardinendosen gelegt und einen Eßlöffel auf die Fischschüssel und zu gekochtem Fisch Messer gedeckt hat und dergleichen, habe ich das Tischdecken übernommen. Und die ‚begabte Bellina’ macht die Betten und schält Kartoffeln.“
„Was sagst du da, ‚begabte Bellina’?“
„Das Mädchen heißt Bella, ja, ich kann nichts dafür. Ich habe sie nicht so getauft. Ich weiß wirklich nicht, ob’s Mama gewesen ist oder wer angefangen hat, sie ,begabte Bellina’ zu nennen. Das ist wohl von selber gekommen… Jetzt
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