Nina, so gefällst Du mir
oder mich oder das Haus hier zeigt – und ihr seid doch immerhin alte Freundinnen.“
„Ja, irgend etwas ist los“, sagte Grete. „Wenn ich nur Zeit hätte, mich etwas mehr mit ihr abzugeben – huch, jetzt kocht die Milch! Ach ja, Mutti, Fräulein Bang-Nielsen wollte gern noch eine Wolldecke haben… ja, und du – Herr Larsen bekommt morgen zum Lunch Besuch, zwei Personen. Ich renne eben mit der Milch nach oben, Mutti. Ich komme sofort wieder…“
Frau Jerndal sah ihrer Tochter mit einem kleinen Lächeln nach. Dies tüchtige, tapfere Mädel! Da war nichts von Mitleid mit sich selbst, wahrhaftig nicht. Sie schuftete vom frühen Morgen bis zum späten Abend. War es eine Kunst, eine Pension zu führen, wenn man solche gute Hilfe hatte wie ihre Grete?
Die Küchenhilfe Elise klapperte mit dem Aufwasch. Ein Krachen ertönte, und Frau Jerndal drehte sich rasch um. Eine von den großen Schüsseln war schmetternd zu Boden gefallen.
„Aber gute Elise“, sagte Frau Jerndal, drehte sich abermals rasch um, machte einen Schritt, stolperte über einen Küchenhocker…
Nina kam von ihrem Abendspaziergang nach Hause. Es stimmte, was Grete gesagt hatte. Sie war müde von dem Weg und der frischen Luft. Sie war richtig schläfrig. Heute nacht würde sie endlich schlafen können.
Sie hatte ein paar Feldblumen gepflückt und ging geradewegs in die Küche, um sich ein Glas Wasser auszubitten für die Blumen.
Die „begabte Bellina“ stand ganz allein am Aufwaschbecken und schluchzte und wischte sich die Tränen.
„Aber liebe Bella, was ist denn los?“
„Ach, es ist so schrecklich, so schrecklich!“
„Was ist denn, Bella?“
„Och, die haben sie ins Krankenhaus gefahren. Sie haben gesagt, sie hat sich’s Bein gebrochen…“
„Wer hat sich das Bein gebrochen?“
„Na, Frau Jerndal… Und dann ist ein Krankenauto aus Bekkum gekommen, und Grete ist mit ihr hingefahren. Ach, wenn sie bloß nicht stirbt!“
„Bella, jetzt sei mal vernünftig und rede keinen Unsinn. Man stirbt nicht vom Beinbruch. Wann war denn das?“
„Gleich nach dem Mittagessen. Elise stand und wusch auf, und dann ist Frau Jerndal hier auf dem Fußboden in der Küche ausgerutscht – genau da, wo ich stehe, und dann konnte sie nicht wieder aufstehen, und dann mußte Grete das Krankenhaus anläuten, und dann ist ein Krankenauto gekommen, und nun sind sie gerade weggefahren. Ach Himmel, es läutet! Ich muß rennen…“
Nina stand einen Augenblick mit ihren Blumen in der Hand. Es war für sie ungewohnt und schwierig, die Gedanken auf die Sorgen anderer Menschen zu richten, da sie monatelang nur an ihre eigenen gedacht hatte.
Aber jetzt drängte sich trotzdem das Mitleid in ihr Bewußtsein. Arme Frau Jerndal! Zum Verzweifeln! Nun ja, ein Beinbruch war ja noch nicht das schlimmste – wenn das, was Bella erzählt hatte, stimmte. Vielleicht war kein Krankenauto gekommen, sondern nur eine Taxe; vielleicht war es auch nur eine Prellung.
Nina ging die Treppe hinauf – die Küche lag im Keller. Oben auf dem Flur traf sie Fräulein Dyring.
„Ist es nicht furchtbar, Fräulein Löge? Die arme Frau Jerndal! Wie soll nur diese junge Tochter den ganzen Kram allein schaffen! Hier in dem vollen Haus! Ja, ich helfe Elise gerade, die Zimmer für die Nacht zurechtzumachen. Wenn nur Fräulein Grete bald nach Hause kommt, damit wir erfahren…“
Aber es wurde Mitternacht, bis Grete nach Haus kam, klein und unglücklich und mit verweinten Augen.
Die meisten Gäste waren aufgeblieben, um zu hören, wie es Frau Jerndal ging.
Und Grete erzählte, es sei ein Schenkelhalsbruch. Und nicht genug damit, die Mutter hatte sich auch einen Knochen im rechten Handgelenk gebrochen. Sie würde sicher viele Wochen im Krankenhaus zubringen müssen. Nein, die Schmerzen seien nicht mehr so stark gewesen, als Grete sich jetzt von ihr verabschiedete. Sie habe eine schmerzstillende Spritze bekommen. Der Arm sei in Gips gelegt worden, und morgen werde das Bein genagelt. Bei voller Narkose natürlich. Und die Mutter sei furchtbar tüchtig und tapfer.
Allmählich kam das Haus zur Ruhe. Nina ging nach oben und ins Bett. Aber es dauerte lange, ehe Grete kam. Was in aller Welt tat sie so lange? fragte sich Nina. Sie war zu weit von der Wirklichkeit entfernt, als daß die einfache Wahrheit ihr eingefallen wäre: daß Grete am Küchentisch saß mit Essenslisten und Einkaufslisten und dem Ausgabenbuch vor sich und versuchte, für die Zeit, da sie mit ihren achtzehn Jahren Hausfrau
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