Nina, so gefällst Du mir
„Natürlich schaffst du das Abitur; du bist doch nicht dumm. Aber du bist riesig tüchtig in Handarbeit und Kochen und solchen Sachen. Und warum willst du denn nicht einen Beruf wählen, wo du deine ausgesprochenen Begabungen verwenden kannst? Nun ja, wie gesagt, es ist ja nicht meine Sache.“
„Vielleicht hast du recht“, sagte Nina still. Irgend etwas in ihr tat weh. Sie wußte nur zu genau, warum sie plötzlich auf den Gedanken gekommen war, ins Gymnasium zu wollen. Sie hatte nur Gunnar imponieren wollen.
„Vielleicht hast du recht“, sagte sie wieder. Den Beruf sollte man nach den Begabungen wählen, die man hatte.
Und Gunnar – Gunnar mußte sie sowieso aus ihrem Bewußtsein und aus ihrem Herzen verbannen. Der reiche Gunnar, der ein riesiges, elegantes Auto fuhr und wochenlang in einem der teuersten Hotels des Landes wohnen konnte – Gunnar, der von seinem schwerreichen Onkel verwöhnt und verhätschelt wurde – Gunnar, der elegant und klug war und der von ihr so gar nichts wissen wollte…
Nein! Nicht an Gunnar denken! Jetzt war es wichtiger, daß sie überlegte, was es morgen zum Lunch geben sollte.
„Du, Grete, ist noch etwas von den gekochten Forellen übrig? Davon könnte ich morgen einen Fischsalat machen.“
„Da muß noch eine ganze Menge übrig sein“, meinte Grete. Sie öffnete den Kühlschrank und sah nach.
„Merkwürdig! Hier drin steht sie nicht. Ich habe doch Elise gesagt, sie sollte… Sie hat doch nicht etwa…?“ Grete blieb mit gerunzelten Brauen stehen, dann ging sie in den hinteren Flur, nahm den Deckel von dem einen Abfalleimer, dann von dem anderen ab.
„Nein! Da hört doch wirklich alles auf!“
„Was ist denn, Grete?“
„Was ist? Schau her! Was sagst du dazu?“ Grete hatte einige Kartoffelschalen weggeschoben, die zuoberst im Eimer lagen. Darunter erschienen zwei ganze gekochte Forellen, ein halbes Brot, ein großer Käsekanten und eine Menge gekochter Kartoffeln.
„Ist so was wohl zu glauben? Ist es da so merkwürdig, daß das Geld uns unter den Fingern wegläuft? Und Mutti hat immer dafür gesorgt, daß alle Reste ausgenutzt werden. Dieses verdammte Frauenzimmer!“
„Redet ihr vielleicht von mir?“
Die beiden jungen Mädchen drehten sich um. Grete war puterrot vor Wut. Hinter ihr stand Elise.
„Ja, das tun wir allerdings! Sehen Sie her! Wieviel Geld, glauben Sie, haben Sie hier in unseren Abfalleimer geworfen? Rechnen Sie sich’s aus, und ein andermal können Sie die Kronen gleich in den Abfalleimer werfen; das wäre einfacher. Lassen Sie sich’s gesagt sein, Elise, hier im Haus wird kein Essen weggeworfen.“
„Aha, Sie wollen anfangen, mich zu belehren! Ich habe schon in Hotels gearbeitet, als Sie noch in den Windeln lagen.“
„Das interessiert mich nicht. Was mich interessiert, ist, daß Sie gegen den ausdrücklichen Befehl meiner Mutter Essen wegwerfen, das noch zu verwenden ist.“
„Ich habe Erfahrung genug, um zu wissen, daß man den Gästen kein aufgewärmtes Essen vorsetzen darf.“
„Diese Frage beabsichtige ich nicht, mit Ihnen zu erörtern, und das geht Sie auch nichts an. Aber ich verbiete Ihnen, irgend etwas wegzuwerfen, ohne mich erst zu fragen.“
„Danke! Ich habe nicht die Absicht, mir von einem achtzehnjährigen Mädchen Vorschriften machen zu lassen.“
„Aber Sie haben nach wie vor die Absicht, Ihren Lohn von einem achtzehnjährigen Mädchen entgegenzunehmen.“
Gretes Stimme klang messerscharf, und was im nächsten Augenblick geschah, überraschte Nina im Grunde nicht. Elise riß sich die Schürze ab und schleuderte sie auf den Fußboden. Die weiße Haube ging hinterdrein.
„Weder Vorschriften noch Lohn! Danke schön! Sie können zusehen, wie Sie ohne einen erwachsenen Menschen im Haus durchkommen, denn ich fahre mit dem Neun-Uhr-Bus. Guten Abend!“
Die Tür knallte hinter Elise zu.
Grete und Nina sahen einander an. Sie wußten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten.
„Was sollen wir jetzt tun, Nina?“ Gretes Stimme klang verzagt und hilflos.
Aber Ninas Stimme war ruhig, und sie lächelte beinahe, als sie antwortete: „Vor allen Dingen wirst du jetzt erst maldie feinen Forellen aus dem Mülleimer nehmen und sie Zottel auf den Teller legen und die Kartoffeln dazu. Und dann müssen wir uns heute abend hinsetzen und einen Schlachtplan entwerfen. Wir haben es bis jetzt geschafft, Grete, und wir werden es auch ohne Elise weiterschaffen. Denk nur, wie teuer sie war. Und denke nur, wie wunderbar, daß wir
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