Nina, so gefällst Du mir
grauschwarzer Rumpf, und die ganze Erscheinung verschwand hinter einem Grasbuckel und wieder in den Wald hinein.
Gunnar preßte Ninas Hand. „Weißt du, was das war? Ein Dachs. Das ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich einen Dachs in freier Natur sah. Ich habe nur mal einen im Zoo gesehen.“
Nina lächelte ihm zu. „Du – dies ist das Schönste, was ich je erlebt habe. Hier mit dir zusammen zu sitzen und irgendwie… so… so…“
„… eins mit der Natur zu sein“, half Gunnar nach.
„Ja, genau das! Du, ich bin so froh, daß du diesen Gedanken gehabt hast. Weißt du, in einem solchen Augenblick finde ich, daß man mit allem und allen gut Freund ist. Es ist fast so, als könnte ich auf niemanden böse sein.“
Gunnar schwieg ein Weilchen. Dann sagte er langsam: „Es muß schön sein, ein solches Gefühl zu haben.“
„Fühlst du es nicht auch so? Bist du auf jemanden böse?“
„Böse? Das ist vielleicht zuviel gesagt. Aber es gibt Menschen, über die ich mich ärgere.“
„Das Ehepaar Andrews vielleicht?“ lächelte Nina.
„O ja, zum Beispiel!“ Nina zog die Stirne kraus. Sie dachte an etwas Bestimmtes, aber es war so schwierig, dies in Worte zu kleiden.
„Aber du“, sagte sie langsam und nachdenklich, „du hast zu mir gesagt, du hast mich gern, weil ich bin, wie ich bin. Du magst also Menschen, die sind, wie sie sind.“
„Ja.“
„Ja, aber das Ehepaar Andrews ist auch, wie es ist. Wenn die anfingen, korrekt zu sprechen und sich zu benehmen wie… ja, wie hochkultivierte Menschen.“
„Das könnten sie gar nicht!“
„Nein, aber wenn sie nun einen krampfhaften Versuch dazu machten, dann würden sie nicht mehr sie selber sein. Jetzt reden sie von nichtssagenden Dingen. Sie können sich nicht über Kunst und Literatur und höhere Dinge äußern. Wenn sie es versuchten, ja, dann würden sie also ganz unnatürlich werden. Und es ist gerade das, was du nicht magst.“
Gunnar saß ein Weilchen still mit gesenktem Kopf. „Sicher ist das wahr, was du sagst, Nina. Du bist gar nicht dumm, Kleine.“
„Danke, kann ich das schriftlich haben?“ sagte Nina.
„Nein, mündlich“, sagte Gunnar. Er zog sie an sich und gab ihr einen Kuß.
„Wir müssen jetzt aber nach Hause“, sagte er dann bald. „Die Zeit vergeht, und wir haben Pflichten.“
Nina packte die Thermosflasche und das gebrauchte Butterbrotpapier in die Tasche, und dann machten sie sich auf den Heimweg.
Sie kamen aus dem Wald heraus und gingen den schmalen Pfad entlang bis zu der Stelle, wo sie das Auto verlassen hatten. Vor ihnen lagen die Hänge mit den Zwergbirken und dem Heidekraut und den Multbeerenblüten.
„Seltsam, so gerade an der Baumgrenze zu sein“, sagte Nina. „Der Wald hinter und das schroffe Fjell vor uns.“
„Ja“, sagte Gunnar. Es schien, als sei er mit seinen Gedanken anderswo.
Sie stiegen ins Auto, unter allerlei Anstrengungen konnte Gunnar schließlich wenden. Erst als sie auf der freien Landstraße waren und das Fahren keine Schwierigkeiten machte, fing er wieder an zu reden.
„Sag mal, findest du, daß Onkel Espetun auch er selber ist, Nina?“
Sie wandte sich zu ihm um, ein wenig erstaunt.
„Dein Onkel? Ja, das meine ich bestimmt. Er ist ein tüchtiger Geschäftsmann, und er ist ein Selfmademan. Er ist rührend nett und gutmütig. Und braucht er dann mehr zu sein?“
„Wahrscheinlich nicht. Ich habe immer ein Gefühl gehabt, daß Geld verpflichtet. Wie kann man nun in einem großen schönen Haus sitzen und die Möglichkeit haben, zu reisen, Bücher zu kaufen und gute Bilder – und nutzt dann diese Möglichkeit nicht aus? Das heißt, mein Onkel kauft ja, aber er versteht selbst nicht, was er kauft, und seine Interessen reichen einfach nicht über die Fabrik hinaus.“
„Hast du ihm etwa so etwas gesagt, als ihr auseinandergingt, Gunnar?“
Gunnar biß sich auf die Lippe. „Ja, ich habe etwas gesagt, was sicher häßlich war, und das lastet, offen gestanden, aufmeinem Gewissen. Wir hatten eine Auseinandersetzung, mußt du wissen. Ich ging aus allen Fugen und sagte, daß ich nicht mehr weiter könnte. Und dann war mein Onkel wohl enttäuscht. Er fragte, was ich denn nun anfangen wolle. Und ich sagte, ich wolle Sprachen studieren wie mein Vater. Und dann – ja, dann sagte mein Onkel, das sollte ich mir doch noch überlegen. Denn mein Vater hätte es wirklich nicht weit gebracht mit dem Geldverdienen. Und da wurde ich rasend und sagte, es gäbe in der Welt einen Haufen Dinge,
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