Nina, so gefällst Du mir
die mehr wert seien als Geld. Und als ich aus dem Zimmer ging, schleuderte ich ihm noch eine Bemerkung ins Gesicht – ja, und die war allerdings sehr wenig nett.“
„Willst du mir nicht erzählen, was du gesagt hast?“ fragte Nina, und ihre Stimme war leise und sanft.
„Ja. Ich sagte: ,Mein Vater hatte allerdings keinen Weinkeller voll von französischen Weinen. Aber er konnte ihre Namen richtig aussprechen.“*
„Dein Onkel hatte vermutlich gerade einen Namen falsch ausgesprochen?“
„Ja, und das… das hat mich also geärgert. Ich sah natürlich sofort, daß die Bemerkung ihn verletzt hatte, und… und ich wünschte, ich hätte sie nicht gemacht.“
Nina überlegte. „Du hast mich schön ausgelacht, als ich von meinem ‚psychopathischen’ Onkel und von Sanssouci in Paris und von Eulen nach Rom redete. Da siehst du, wie es geht, wenn ein durchschnittlicher Mensch sich mit etwas abgibt, wovon er nichts versteht. Aber das ist auf der anderen Seite genau das, was du von deinem Onkel forderst. Er soll sich um Kunst und Literatur und Sprachen kümmern, weil das Dinge sind, die dich interessieren und die deinen Vater interessierten. Aber Gunnar, dein Onkel füllt hier in der Welt einen anderen Platz aus. Es muß auch Leute geben, die Gummistiefel machen. Es muß solche geben, die Fabriken leiten. Du kannst nicht verlangen, daß alle Menschen deine Interessen haben sollen. Und du bist also völlig unlogisch, wenn du auf der einen Seite sagst, ich solle bleiben, wie ich bin, aber dein Onkel solle gefälligst so werden, wie du ihn haben willst.“
Gunnar wurde glühend rot. Er preßte den Mund zusammen und konzentrierte sich ganz auf das Fahren.
„Bist du böse auf mich, Gunnar?“ sagte Nina schließlich furchtsam.
„Nein, Nina, im Gegenteil, ich schäme mich.“
„Weshalb denn?“
„Weil ein kleines Mädchen, das Fremdwörter radebrecht und angeblich ein ganz gewöhnliches Mädchen sein soll, mir etwas erklären muß, was ich selber nicht gemerkt habe. Ich bin ein Schafskopf, Nina, und du bist die klügere von uns beiden.“
„Nun halt aber an dich!“
„Ja, ich werde an mich halten. In mehr als einer Richtung.“ Dann schwieg er wieder. Aber da die Straße breit und übersichtlich war, nahm er einen Augenblick die rechte Hand vom Steuer und strich Nina über die Wange.
„Du, Gunnar?“
„Ja?“
„Warum bist du auf den Gedanken gekommen, Jura zu studieren?“
„Weil ich eigentlich viel lieber Rechtsanwalt sein möchte als Lehrer. Es war nur deshalb, weil die Philologie mir helfen sollte, an das heranzukommen, was ich wirklich wollte: meines Vaters Arbeit fortzuführen.“
„Aber hör mal, Gunnar, mußt du unbedingt Philologe sein, um Sprachen zu pflegen? Und mußt du unbedingt einen Beruf ergreifen, zu dem du im Grunde gar keine Lust hast? Könntest du dir nicht denken, Jura zu studieren, wenn du tatsächlich Lust dazu hast, und dann als großes Hobby nebenher Sprachen zu treiben?“
„Daran habe ich wirklich noch nicht gedacht, das muß ich sagen.“
„Aber das habe ich getan. Du sagtest, ich dürfe nicht aufs Gymnasium gehen, denn Mathematik und Chemie und dergleichen lägen mir nicht. Ich sollte das tun, was mir liegt, sagtest du. Und nun sage ich dir dasselbe. Du bist als Lehrer für wilde Jungen und kichernde Mädchen nicht geeignet.“
„Da zeichnest du aber ein sehr hübsches Bild von uns Gleichaltrigen“, lächelte Gunnar.
„Unterbrich mich nicht. Du sagtest, du möchtest im Grunde lieber Rechtsanwalt sein. Aber dann studiere doch Jura. Ein juristisches Examen kann man für allerlei Gutes brauchen, und dann benutze deine Abende dazu, Sprachen zu studieren. Und spare dir Geld, wenn du ein glänzendes Anwaltsbüro hast. Spare Geld und reise in den Orient.“
„Das hört sich wirklich sehr einfach an“, sagte Gunnar.
„Wahrscheinlich ist es auch einfacher, als du denkst.“
„Du scheinst die Probleme an meiner Stelle durchdacht zu haben, Kleines.“
„Es… es kommt ja vor, daß meine Gedanken dich streifen“, gestand Nina mit einem kleinen Lächeln.
„Darf ich fragen, wo ihr gewesen seid?“ Grete stand mitten in der Küche. Sie stemmte die Hände in die Hüften und versuchte, richtig böse auszusehen. Aber das Lachen blitzte ihr in den Mundwinkeln.
„Oh, Grete, kommen wir zu spät?“
„Zu spät? Hier haut ihr mit dem Auto ab und laßt die Arbeit Arbeit sein. Auf Gunnar zu schimpfen, traue ich mich nicht. Er ist stärker als ich. Aber Nina, dir will ich
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