Ninis - Die Wiege der Baeume
Schwester und ich sind doch bereits Tod.” Die Wachen schlugen ins Leere. Die schwarze Erscheinung der toten Hulunenhexen löste sich auf. „Aber Ihr habt Euer Ende noch vor euch!”
Siria schüttelte nur ungläubig den Kopf. Die beiden Mal’Jaral verspottenden sie sogar noch aus dem Jenseits.
„Siria, was bedeutet das alles?”, fragte Hasis leise.
„Hmmm, Dickerchen! Du hast doch bestimmt zugehört, oder?”, antwortete sie liebevoll und kniff ihn in die Wange. Und falls sie morgen alle starben, pfiff sie auf alle Regeln. Sie liebte seinen wohlgenährten Schatten!
„Ähm …”
„Wir sollten Amones Luftschiff nehmen und verschwinden. Schnell! Ich habe keine Lust, Amun'ral zu begegnen. Feriosi und die Mal'Jaral dürften im Vergleich zu ihr etwa so bedrohlich sein wie gewöhnliche Eierdiebe!” Siria mochte nicht aufgeben! Sie traten nur gegen die schlimmste Offenbarung an, die man sich vorstellen konnte. Aber sie war eine Renelatin! Sie wollte stehen, wenn es zu Ende ging!
„Ist es nur Amun'ral, die uns bedroht? Meine Männer werden das Mädchen töten!”, rief Hasis heroisch.
„Das ist eine gute Idee. Befehl deinen Männern, sie zu finden und zu töten. Sie sollen bloß keine Gnade zeigen! Wir sind Renelaten!”, log Siria. Vermutlich hatte er gerade einige Aussetzer gehabt, aber sie brauchten Zeit. Sie schämte sich für diese Lüge, viele würden deswegen sterben, aber sie hatten nur noch ein Luftschiff!
„Renelaten, bereitet euch darauf vor, die Stadt zu verteidigen. Amun'ral wird uns über das Eis angreifen. Sammelt alle verfügbaren Kräfte und unterschätzt sie nicht!”, rief er durch die Halle.
„Hasis, du solltest mir jetzt folgen. Wir bringen dich auf das Luftschiff!”, flüsterte ihm Siria zu. Er nickte. Amone blickte nur kurz und folgte Lorias sowie den Seherinnen ihrer Garde. Zum Glück verstand Amone die Situation. Siria wunderte schon, dass es noch so ruhig war.
„Was ist mit Feriosi und dieser Jilien?”, fragte Amone.
„Tod! Was sonst!”, sagte Siria emotionslos. Sie mussten jetzt zum Luftschiff.
Siria stand am Heck und blickte zurück auf den brennenden Lufthafen. Unzählige schwarze Gerippe verbrannter Luftschiffe hingen in den Wänden.
Nur zweiundsechzig Renelaten flohen mit dem letzten Luftschiff aus Saladan nach Süden. Eine dichte Rauchsäule stieg auf und verlor sich im dunklen Himmel der anbrechenden Nacht. Wieso hatte sie nicht früher die Zeichen der Zeit verstanden? Obwohl, hätte sie sich dann anders verhalten?
***
Allein im Eis
Ein Licht bewegte sich auf Yirmesa zu. Zart berührte es ihren Geist, der langsam aus der Dämmerung erwachte. Wie eine Hand, die behutsam über die Haut glitt, durchfuhr eine angenehme Wärme ihre Glieder. Ihre Sinne erhoben sich, sie roch, fühlte und lauschte wohlig ihren Körper.
„Wo bin ich?” Sie befand sich in einem Eisblock, der sie fest umschloss. Beklommen dachte sie an ihr Schicksal: Du wirst weder leben noch sterben – du wirst ewig im Eis eingeschlossen bleiben! Das waren die Worte von Eterius, fühlte sich so der Rest der Ewigkeit an? Wie lange hatte sie geschlafen? Einen Tag, eine Dekade oder war das Zeitalter von Ninis bereits vorbei? Die Gedanken ließen sie nicht mehr los, sie dachte mit Furcht an den Halion. Ob er sie holen kommen würde, oder ob sie gerade Abertausende Sonnenzyklen später mit Ninis in einer Sonne versank? Der zweite Gedanke gefiel ihr erheblich besser.
Manoos, sie erinnerte sich an ihn, als ob sie ihn eben erst geküsst hätte. Hatte ihn sein Bruder getötet?
„Eterius, bist du da?” Yirmesa hörte ihre eigene Stimme, nur sie fühlte sich seltsam an. „Warum bin ich aufgewacht?” Sie erhielt keine Antwort, aber mit jedem der Worte bildeten sich Bilder in ihren Gedanken. Wie ein Relief sah sie ihre Haut in einem rötlichen Schimmer, deutlich konnte sie die Schuppen ihres Nackens erkennen. Sie sprach weitere Worte: Belanglose Töne, sie summte, brummte oder schnalzte mit der Zunge. Die Farbschattierungen veränderten sich mit den Klängen und drangen ständig als neue Bilder zu ihr zurück. Das Echo jedes Lautes ergab ein Bild, unglaublich, sie konnte die Welt mit ihrem Gehör sehen!
Von wem hatte sie diese Gabe? Was war sie für ein Wesen? War sie überhaupt das, wofür sie sich ihr Leben lang gehalten hatte? Eine Lamenis, ein Kind von Ninis? Wer war ihr Vater? Der Schmerz der Erkenntnis brannte sich durch ihre Sinne – ihr Vater – nein, wie konnte ihre Mutter ihr das
Weitere Kostenlose Bücher