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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Postmeister. »Wir ertrinken im Schnee. Ich habe Dörfer gesehen, da ragten nur noch die Schornsteine aus den Schneemassen heraus.«
    Bei diesem Durcheinander fiel es nicht auf, daß Ninotschka den großen Aufenthaltsraum verließ und draußen – an den abgeschirrten Schlitten vorbei – zu dem Nebengebäude hinüberschlich, dessen Holzläden fest verriegelt waren und vor dessen Tür ein einsamer Soldat in einem dicken Wolfspelzmantel Wache hielt. Er hatte gegen die durchdringende Kälte dicke Strohbündel um die Stiefel gebunden, stampfte hin und her und stellte sich dann unter das überhängende Dach.
    Das Geräusch, das Ninotschkas langer Mantel auf dem verharschten Schnee machte, ließ ihn herumfahren und sein Gewehr hochreißen. »Wer da? Die Parole?« rief er.
    »Fünfundzwanzig Rubel«, erwiderte Ninotschka mit unterdrückter Stimme. Sie blieb im Schatten der Hauswand. Der Soldat sah sie noch nicht, aber als er die Frauenstimme erkannte, senkte er das Gewehr.
    »Geh zurück, Mütterchen. Es hat keinen Zweck.«
    »Fünfundzwanzig echte Goldrubel … nur für einen Blick durchs Fenster …«
    »Nein. Sie machen mich auch zum Sträfling. Und ich habe eine Frau und vier Kinder. Ich will sie wiedersehen.«
    »Dann sind dreißig Goldrubel ein großes Geschenk!«
    Der Soldat blickte sich um. »Ich habe noch nie dreißig Goldrubel auf einmal in der Hand gehabt. Wo bist du Mütterchen? Willst du wirklich nur einen Blick durchs Fenster werfen?«
    »Mehr nicht!«
    »Dann beeil dich. Dort, das vierte Fenster ist nur angelehnt. Wen suchst du denn?«
    »Den Leutnant Borja Tugai.« Ninotschka rannte zu dem angegebenen Fenster. Der Soldat folgte ihr langsam. Er starrte sie an, und in seinen Augen glomm ein gieriges Leuchten auf. »Das ist ja gar kein Mütterchen, sondern ein junges Täubchen! Und was für eines! Ist er dabei, den du suchst? Da machen solche Herrchen Revolution und sind zu dumm dazu. Aber man läßt sie leben, weil es Hochwohlgeborene sind. Und die Weiber reisen ihnen nach, als wäre es eine Hochzeitsfahrt ins Grüne!
    Bei allen Heiligen, was würde man wohl mit unsereinem machen, wenn wir den Zaren nur anspuckten! Zerreißen würde man uns, verbrennen und unsere Asche in den Schweinestall streuen … nur wegen einem bißchen Spucke. Aber da drinnen …« Er klopfte mit der Faust gegen die Hüttenwand, »die haben den Zaren töten wollen! Und trotzdem leben sie weiter, weil sie so vornehm sind und so viele Goldrubelchen haben!«
    »Sei still«, sagte Ninotschka. Sie hatte kaum hingehört. »Fünfunddreißig Rubel!« Sie öffnete den Holzladen einen Spalt und blickte in den dahinterliegenden Raum. Drei trübe Lampen brannten. Die Männer saßen oder lagen am Boden, hatten Decken um sich gewickelt und schliefen oder unterhielten sich miteinander. Elendsgestalten in Lumpen waren es, bleich von der monatelangen Haft, zermürbt von der Schmach. Ninotschka erkannte den Fürsten Trubetzkoi. Er saß mit Wolkonsky und dem Grafen Pitschew zusammen an der Wand und trank aus einem Blechgefäß heißes Wasser. Pitschew kaute an einem Stück Brot herum.
    »Weiß der Himmel«, sagte der Soldat verächtlich hinter Ninotschka, »das sind keine Helden! Ich hatte einen Bruder, den kreisten in den Wäldern von Blaskowinnje sieben Räuber ein. Er war Soldat wie ich und sollte mit seinen Kameraden die Räuber fangen. Aber plötzlich war er allein und die sieben hatten ihn umzingelt. Was tat mein Micha? Er schlug mit dem Säbel um sich, köpfte zwei von den Halunken, erstach einen, und erst danach brach er an seinen Wunden zusammen. Das war ein Held, mein Bruder Micha! Aber die da … nein!«
    »Sei doch still!« Ninotschka suchte, in dem Gewühl der Männer Borja zu entdecken. Heiße Angst stieg in ihr auf. War er gar nicht hier? Hatte man vielleicht einen Teil der Verbannten noch in Petersburg zurückgehalten, um sie mit einem anderen Transport wegzuschicken? War sie so viele Tage durch Eis und Schnee gefahren, um jetzt zu erfahren, daß Borja noch in Petersburg war?
    »Wie lange bist du bei dem Transport?« fragte sie den Soldaten heiser.
    »Von Petersburg an.«
    »Du kennst den Leutnant Tugai?«
    »Ich kenne nur den Deportierten Tugai«, antwortete der Soldat gehässig und stellte sein Gewehr an die Wand. »Alles keine Helden …«
    »Mein Mann ist ein sechsfacher Held gegen deinen Micha!« rief Ninotschka. Die Verzweiflung, Borja nicht entdecken zu können, machte sie halb wahnsinnig.
    »Das hättest du nicht sagen dürfen,

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