Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
huschten. Erinnerungen vielleicht.
Tatsächlich, es schien, als würde der Menschenmann träumen …
Die Schenke war gedrängt voll mit Menschen. Sie unterhielten sich lauthals, um die Musiker zu übertönen oder ließen zu den stampfenden Rhythmen der Botuka-Musik ihre Köpfe schwer im Takt auf und ab baumeln und tappten dazu wie ein Heer kampfbereiter Bären umher. Auric schob sich durch die Menge und musste die Umherstehenden zum Teil schon nachdrücklich zur Seite schieben, um überhaupt voranzukommen. Manch einer hatte schon, als er sich umwandte, ein gereiztes Wort auf den Lippen, aber das gefror dort schnell, wenn der Blick in Aurics Gesicht fiel. Auric hatte zwar das dichte, schwarze Haar seiner Mutter geerbt, doch die Züge spiegelten eindeutig das Erbe seines Vaters wieder. Ob er das nun mochte oder nicht. Bei einer Freitagnacht in einer Schenke, randvoll mit Betrunkenen, ersparte das jedenfalls eine Menge Ärger.
Es war seine erste Nacht in einer Stadt des Idirischen Reiches und es verwunderte ihn, dass sich die Stimmung hier weit weniger als erwartet von der einer Nacht unter Skrimaren nach einem gelungenen Raubzug unterschied. Vielleicht in der Intensität und im üblen Temperament, in der Gewaltbereitschaft und dem, was die schiere Körperkraft der Beteiligten anrichten konnte. Rauch und Bierdunst hingen unter der dunklen Gewölbedecke, die Musiker auf der Bühne im Nebenflügel heizten die Menge an, es wurde gesoffen und krakeelt und die Gemüter flammten hoch. Vielleicht hatte er sich auch die falsche Kneipe ausgesucht. Vielleicht hatte er auch die falsche Kneipenbekanntschaft gewählt.
Endlich drang er zur Theke vor, fischte zwei Münzen aus der Tasche seiner Hose, klatschte sie vor der Kellnerin auf die Holzplatte. Sie schenkte ihm, bei aller Hektik des Geschäfts und zwischen dem steten Andrang anderer Gäste über die Krüge hinweg, ein wohlwollendes Lächeln, das Auric auf seine gewinnendste Art erwiderte. Sie war vielleicht nicht die Schreiberin eines Adligen, nicht die gelehrte und gebildete Gefährtin, die durch seine nebelhaften Träume geisterte, doch es war fürs erste angenehm zu sehen, dass seine Chancen in einer Idirischen Stadt nicht schlecht standen. Und für den Fall der Fälle gab es Schlimmeres als mit der Kellnerin nach Hause zu gehen.
Für seine Münzen durfte er vom Hausbier mit einer Kelle seine Krüge füllen. Als er sich mit der Kelle aus der Hand seines Vorgängers bewaffnet über das große Holzfass beugte, stieg ihm eine Wolke aus sauer hopfigem Geruch entgegen. Das Drängeln der hinter ihm Anstehenden ignorierend, bemühte er sich, an den im Bier schwimmenden anorganischen und organischen Überresten vorbeizufischen, füllte seine Krüge so mit Schwung und Schräglage des Trinkgefäßes, wie er es bei seinen Vorgängern gesehen hatte, und bekam so zu seiner Zufriedenheit auch eine feine gelbschaumige Schicht auf dem Getränk zustande. Beim Drachenblut-Bier zuhause war es auf kaum auf derartige Finesse angekommen; die Wirkung war das Wesentliche, und nach dem ersten merkte sowieso niemand mehr den Unterschied.
Der Steinmetz saß tatsächlich noch am gleichen Tisch. Vielleicht hielt ihn dort die Aussicht auf ein bezahltes Bier. Als sich Auric durch die Menge näherte, bemerkte dieser ihn zuerst nicht. Die Arme überkreuz, war sein Blick konzentriert ins Leere gerichtet. Erst als Auric fast vor ihm stand, schreckte er hoch, sah ihn und nahm dankbar den Krug entgegen.
Sie stießen an.
„Was willst du hier in Zephrenaic? Du hast was von Studieren gesagt, hab‘ ich das richtig mitbekommen?“
Auric nahm bedächtig seinen ersten großen Schluck, seufzte befriedigt und nickte stumm dem Steinmetz seine Bestätigung zu, während er sich den Bart abwischte. Morgen würde er sich als erstes rasieren. Von den Idirern liefen hier nur die wenigen, die demonstrativ an der Art ihrer Provinz festhielten, mit einem Bart herum. Seiner war auf seiner Reise wild und ungestutzt gewachsen und kennzeichnete ihn sofort als Fremden.
„Du bist hierher gekommen, um was zu lernen?“, fuhr sein Gegenüber fort. „Jetzt kommen also die Barbaren zum Studieren zu uns. Na, das ist ja mal was Neues.“
Auric beschloss die Barbarenfrage fürs erste fallen zu lassen; hier war kein stückbreit Boden zu gewinnen. „Eigentlich nicht in Zephrenaic“, erwiderte er stattdessen ernsthaft. „Ich wollte weiter nach Süden, ins Herz des Idirischen Reiches, vielleicht nach Idirium selber.
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