Ninragon - Homunkulus

der Sturmarmbrust zuckte leicht. Ihre Kiefermuskeln zitterten. O mein Gott, was war sie gerade im Begriff zu tun? Einen Freund töten, einen Verräter töten, den eigenen Mann töten. So leicht geht das. Wenn sie das tat, so war ihr in diesem Moment klar, dann würde sie sich in ein fremdes Land begeben. Ja, Danak, du bist gerade dabei eine Schwelle zu überschreiten. Wenn sie das tat. Sie sah in die Augen von Klann, die wie ungerührt zurückblickten. Sie sah über seine Schulter durch das weit geöffnete Schmiedetor. Die Spitze des Bolzens auf dem Schaft ihrer Armbrust deutete auf Klann. Die Sehne der Armbrust, die auf sie angelegt war, war straff, die Bügel zum Anschlag gespannte Stahlschwingen, nur durch einen winzigen Hebel im Zaum gehalten. Da war eine betäubende Kälte, die ihren Körper hochkroch. Sie spürte ihn nicht länger. Er war wie taub. War sie dazu bereit? Würde sie über diese Schwelle treten?
    Etwas zuckte in Klanns Gesicht. Als sei er im Begriff etwas zu sagen. Ein Beben seiner Nasenflügel. »Danak.« Sein Arm …
    Ihre Hand zuckte.
    Eine Tür öffnete sich.

16
    Sie hatten das Tor nur angelehnt vorgefunden.
    Banátrass sah den silber-roten Koloss neben sich den Flügel des schweren Kirchentors mit einer beiläufigen Mühelosigkeit aufschieben und warf einen Blick zurück zum Schatten der Kutsche hin. Das gespenstische, raubvogelhafte Pferd davor wieherte jetzt schrill mit starr aufgebäumtem Kopf in die Nacht, zum ersten Mal. Als sie an dem Wagen vorbeigeschlichen waren, hatte es nur tief und dröhnend geschnaubt, aus jenen seltsam schmalen, schrägen Nüstern.
    Ein Kinphaurenpferd, nur eines genügte, um den schweren metallverstärkten, kinphaurischen Wagen von Vhay-Mhrivarn Kutain Veren und seinem Leibwächter zu ziehen. Die Kinphauren setzten nur selten eines seiner Art innerhalb der Stadtgrenzen ein, erst recht war es ungewöhnlich eines davon vor eine Kusche zu spannen.
    »Hinein. Jetzt.«
    Banátrass Blick fuhr zurück zu der Gestalt des Ankchorai neben ihm. Jedes Mal wenn der Gewappnete zu ihm sprach, war das wie ein Schock für ihn. Bisher, vor diesem Ausflug mit ihm, hatte er ihn nur als vollkommen stummen Wächter erlebt. Kalt blaue Augen aus dem auftätowierten Dämonengesicht fixierten ihn in der Dunkelheit. Ein scharfumrissener Streifen eines vagen Glimmens war direkt hinter ihm. Er hielt ihm den Türspalt auf.
    Was? Er sollte vorausgehen? Mit dem Krieger der Idarn-Khai und Kutain Veren die schon irgendwo dort drinnen waren? Sollte nicht der Ankchorai als erstes hinein, um das Terrain zu sichern?
    Doch die Geste, mit der der Ankchorai ihn erneut aufforderte, war unmissverständlich. War das der Anflug eines Grinsens in dem durch Narben verzogenen Gesicht des Ankchorai? Sicherlich würde Var’n Sipach doch niemals zulassen, dass man ihn direkt ins Messer laufen ließ. Und der Ankchorai, sein Leibwächter, musste das ebenfalls wissen. Ein Stich des Zweifels durchfuhr ihn. Würde das Bevollmächtigte Beil es tatsächlich niemals zulassen? Oder …
    »Jetzt.«
    Das Wort war von dem Ankchorai nur leise gesprochen worden, aber es durchschnitt die Stille mit einem Klang als scharre Stahl scharf aufeinander und traf ihn bis ins Mark.
    Er blickte dem Ankchorai ins Gesicht, sah das zerfetzte Ohr auf der einen, den Ohrstummel auf der anderen Seite und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Unter dem ausgestreckten Arm des Ankchorai schob er sich durch den Türspalt in das Innere des Gebäudes.
    Zunächst sah er nichts in der unbeleuchteten Kirche, nur einen dunklen, weiten Raum, aber dann, als seine Augen sich darauf einstellten, konnte er allmählich Einzelheiten ausmachen: die hohen Fenster an der Seite, durch welche die diffuse Helligkeit der Lichter der sie umgebenden Stadt einfiel, die Säulenreihen, die den Bau gliederten und eine Masse von Bankreihen, einige gerade, einige wirr durcheinander und umgekippt wie eine angetippte Kette von Kenan-Steinen.
    Wo war Vhay-Mhrivarn Kutain Veren? Wo war sein Idarn-Khai-Leibwächter?
    Ein paar vage Umrisse ragten in der düsteren Weite auf. Ein Nebenaltar. Das mochten mannsgroße Kerzenleuchter, Ständer mit Opferschalen, was auch immer sein.
    Einer der Umrisse bewegte sich. Banátrass zuckte zusammen, und seine Hand fuhr zu dem Kurzschwert an seiner Seite. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten einer Säule, das Huschen eines Körpers, dann schoss etwas mit blitzartiger Geschwindigkeit auf ihn zu.
    Der Idarn-Khai!
    O mein Gott! Der