Ninragon - Homunkulus
hinten, verschnürt und geknebelt.«
»Also hier in den Ruinen. Wissen wir den genauen Ort?«
»Wissen wir«, antwortete ihr Mercer. »Hat Mirik alles angegeben. Sandros konnte sogar auf die Schnelle einen Führer auftreiben, der das Terrain kennt.«
Ihr Blick fuhr zu Sandros rüber.
»Ist ein alter Bekannter von mir«, bemerkte der. Geraden Blicks. »Hat sich früher sein Geld damit verdient, dass er hier aus den Ruinen alten Ramsch rausgeholt hat, als alle drauf standen, ihre Wohnungen mit« – er schnalzte mit der Zunge und gab seinen nächsten Worten eine ironische Note – »Artefakten aus der Alten Welt zu schmücken. Er kennt jedenfalls diese ganzen Gemäuer hier wie seine Westentasche. Sagt, er weiß auch schon genau, welchen Ort Mirik gemeint hat.«
Jetzt waren sie bei den Roschas angekommen. Sie blickte sich abschätzend um, schätzte, dass vielleicht zwei Zwölfschaften Gardisten mit erschienen waren, um ihre Kaderreihen zu unterstützen.
»Okay, drüben steht unsere Roscha«, sagte Sandros mit einem Deuten des Kopfes in die entsprechende Richtung, »Da drin findest du Waffen.«
»Okay.«
»Unser Kinphaurenfreund war es, der vorgeschlagen hat, wir sollten diesmal scharfe Klingen einsetzen. Ausgerechnet der. Wir haben abgestimmt und uns dafür entschieden. Über deinen Kopf hinweg. War keine Zeit, auf dich zu warten.«
»Ist schon okay. Ich denke, scharfe Waffen sind angebracht.« Scharfe Waffen waren genau richtig. Auch nach ihrer Erfahrung beim Gefecht in den Häfen und ihrem Kampf auf dem Kahn der Firnwölfe. »Der Vorschlag kam von Choraik?«
»Ja, er war im Gardenhaus. Komisch um diese Zeit. Und hat sofort gespannt, was abgeht, als er uns reinrauschen sah. Schien für ihn aber vollkommen okay zu sein. Der Kerl überrascht einen noch dieser Tage. Da macht man all diese Geheimniskrämerei wegen ihm und …«
»Er wusste von Anfang an, dass wir ihn von der Sache nur ablenken wollen. Er hat’s mir neulich gesagt.« Ja, und für Überraschungen ist der Kerl allerdings dieser Tage gut.
»Na ja«, meinte Mercer, »vielleicht ist unser Herr Kinphauren-Tinte doch nicht so unrecht.«
»Wir werden sehen.« Ihr werdet sehen. Allerdings.
Sie ging zu der bezeichneten Roscha rüber, und da war Choraik.
»Wer hätte gedacht, dass es noch in dieser Nacht passiert«, meinte Choraik, als er sie erblickte. Wer hätte noch früher am Abend so vieles gedacht?
Choraiks angedeutetes Grinsen erstarrte, als er ihr ins Gesicht sah. Sie wechselten kurze Blicke, und Choraik war so klug, daraufhin zu schweigen. Sie würde das hier durchziehen. Sie hatte solche Einsätze immer durchgezogen. Was gab es schließlich sonst zu tun?
Choraik griff nur stumm in das Innere der Roscha und reichte ihr einen Fechtspeer heraus. Die lange Klinge fing beim Weiterreichen von Hand zu Hand in der Drehung einen Splitter Licht auf, der kalt die Schneide hinabfunkelte. Sie nahm die Waffe in festem Griff, wog sie. Gut ausbalanciert. Fühlte sich gut an in der Hand. Der Unterschied zur Fechtstange war, dass der hier statt des verdickten Schlagstockendes eine lange, gerade Klinge hatte. Sie drehte sie um ihre Achse, und die Waffe folgte federleicht den Bewegungen ihrer Hand. Sie ließ sie blitzartig vorschnellen, ging durch ein paar Paraden und Schwünge. War einige Zeit her, dass sie einen scharfen Fechtspeer und nicht nur die stumpfe Fechtstange in der Hand gehalten hatte. Aber die Erinnerung kam augenblicklich zurück.
Choraik reichte ihr das Halfter hinterher, und sie schnallte es sich über den Stahlkürass, steckte schließlich mit geübtem Schwung die Waffe über die Schulter hinweg hinein.
Die traditionelle Waffe des idirischen Reiches. Zwischen Speer und Schwert. Viele, die aus anderen Kulturen kamen, taten sich zunächst mit so einer Waffe schwer, aber sie hatte ihre Vorzüge, war sehr flexibel in der Handhabung und äußerst gefährlich. Es war eine Prestigesache gewesen, selbst in angeschlossenen, weit entfernten Provinzen, von sich sagen zu können, dass man in der Lage war, diese Waffe mit Meisterschaft zu führen.
In den alten Tagen, in den Tagen des Idirischen Reiches. Als Rhun noch eine blühende Metropole und Provinzhauptstadt dieser Kulturnation gewesen war. Was jetzt mit dem Idirischen Reich war? Dem, was davon übrig war. Man hörte kaum davon. Nur wenige Kriegsberichte drangen von der Front im Süden nach Rhun, und die waren zweifellos verzerrt. Choraik hätte ihr gewiss Genaueres erzählen können.
Vieles
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