Nippon-Connection
verstohlen und feige erscheint, ist für die Japaner also die übliche Art, miteinander umzugehen. Ohne besondere Bedeutung lassen sie Sie einfach wissen, daß mächtige Leute mit Ihnen unzufrieden sind.«
»Sie lassen es mich wissen? Daß ich unter Umständen bald vor Gericht um meine Tochter streiten muß? Daß die Beziehung zu meinem Kind zerstört werden kann und mein Ruf auch?«
»Ja. Das sind durchaus normale Strafen. Die Androhung öffentlicher Schmähung ist die übliche Art, jemandem mitzuteilen, daß man sich über ihn ärgert.«
»Also, ich glaube, ich habe inzwischen kapiert, daß man sich über mich ärgert«, sagte ich. »Ich weiß mittlerweile, was da gespielt wird.«
»Es ist nicht persönlich gemeint«, erklärte Connor. »Es ist einfach die übliche Vorgehensweise.«
»Ja, ja. Lügen verbreiten …«
»In gewisser Hinsicht schon.«
»Nein, nicht in gewisser Hinsicht! Es ist eine einzige verdammte Lüge!«
Connor stieß einen Seufzer aus. »Ich habe lange gebraucht, bis ich verstanden habe, daß das Verhalten der Japaner auf den Werten der Dorfgemeinschaft beruht. Man hört immer wieder von den Samurais der Feudalzeit, aber im Grunde sind die Japaner Bauern. Wenn man in einem Dorf lebte und die anderen Dorfbewohner gegen sich aufgebracht hatte, wurde man verbannt. Und das bedeutete den sicheren Tod, weil keine andere Dorfgemeinschaft bereit war, den Störenfried aufzunehmen. Wenn man seine eigenen Leute verärgert, muß man sterben. So sehen sie es nun mal. Die Japaner sind in bezug auf Gemeinschaften unglaublich sensibel. Sie sind geradezu darauf gedrillt, sich innerhalb einer Gruppe anzupassen, und das heißt: nicht auffallen, kein Risiko eingehen, nicht allzu individualistisch sein; nicht in jedem Fall auf der Wahrheit zu bestehen, gehört ebenfalls dazu. Die Japaner trauen der Wahrheit nicht besonders. Sie erscheint ihnen kalt und abstrakt. Das ist wie bei einer Mutter, deren Sohn eines Verbrechens beschuldigt wird.
Der geht es auch nicht in erster Linie um die Wahrheit, sondern wesentlich mehr um ihren Sohn. Bei den Japanern ist es genauso: Für sie zählen die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die betrachten sie als die reale Wahrheit. Die faktische Wahrheit ist unwichtig.«
»Schön und gut«, sagte ich, »aber warum setzen sie mir jetzt so zu? Was wollen sie damit erreichen? Der Mord ist doch aufgeklärt, oder?«
»Nein«, sagte Connor.
»Nein?«
»Nein. Deshalb werden wir ja so unter Druck gesetzt. Offensichtlich verspürt irgend jemand den starken Wunsch, die Sache zu einem Abschluß zu bringen. Man will erreichen, daß wir aufgeben.«
»Wenn sie mich und Graham so unter Druck setzen - warum eigentlich nicht auch Sie?« fragte ich.
»Mich setzen sie auch unter Druck«, antwortete Connor.
»Wie denn?«
»Indem sie mich für das, was Ihnen passiert, verantwortlich machen.«
»Was soll das heißen - sie machen Sie dafür verantwortlich? Den Eindruck habe ich ganz und gar nicht.«
»Ich weiß. Aber es ist so. Glauben Sie mir! Sie schieben mir die Verantwortung dafür zu.«
Ich sah auf die langsam dahinschleichende Autoschlange vor uns, die sich im Dunst der Innenstadt verlor. Wir fuhren vorbei an elektronischen Werbetafeln für Hitachi (I n Amerika die Nr. 1 bei Computern), Honda (Amerikas beliebtestes Auto!) und Canon (Amerikas führende Kopiergeräte). Wie die meisten neuen japanischen Anzeigetafeln waren sie brillant genug, um auch tagsüber gut lesbar zu sein. So ein Billboard kostet dreißigtausend Dollar pro Tag; die meisten amerikanischen Firmen können sich das nicht leisten.
»Der Witz bei der Sache ist, daß die Japaner genau wissen, wie unangenehm sie werden können«, sagte Connor. »Indem sie um mich herum eine Menge Staub aufwirbeln, geben sie mir zu verstehen: ›Bring die Sache in Ordnung !‹ Sie glauben nämlich, ich könne das schaffen, ich könne das Ganze beenden.«
»Und - können Sie es?«
»Ja, natürlich. Wollen Sie das auch? Dann können wir jetzt ein Bier trinken gehen und uns an der japanischen Wahrheit erfreuen. Oder wollen Sie lieber herausfinden, warum Cheryl Lynn Austin ermordet wurde?«
»Ich will es herausfinden.«
»Ich auch«, sagte Connor. »Also, los, kōhai! Ich glaube, in Sanders Labor warten interessante Informationen auf uns. Die Videobänder sind jetzt der Schlüssel zur Lösung des Falls.«
P hillip Sanders war hellauf empört. »Das Labor ist geschlossen worden«, sagte er und hob in einer verzweifelten Geste die Hände.
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