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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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denken, ehe sie die erste Palme gesehen hatte, aber der Zug fuhr auf dem letzten Teil der Strecke schneller als in der ganzen Zeit zuvor und lief unerwartet plötzlich in Nairobi ein. Regina hatte keine Zeit mehr, sich, wie sonst, ans Fenster zu stellen. Sie kam als letzte an ihren Koffer und mußte warten, bis die Mädchen in ihrem Abteil ausgestiegen waren, ehe sie überhaupt Ausschau halten konnte, wer sie nun abholte. Einen kurzen Moment, der ihr unendlich erschien, stand sie unentschlossen vor dem Zug und sah nur eine Mauer aus weißer Haut. Sie hörte aufgeregte Rufe, aber nicht die Stimme, auf die ihre Ohren lauerten. Ohne die Frist zwischen Spannung und Angst einzuhalten, beutelte Regina die alte Unsicherheit, ihre Mutter könnte den Tag ihrer Ferien vergessen haben, oder Owuor wäre zu spät losgegangen, um rechtzeitig zur Station zu kommen.
    In einer Panik, die sie beschämte, weil sie ihr übertrieben und unwürdig erschien, die aber ihr Herz aus dem Körper zu schleudern drohte, fiel Regina ein, daß sie kein Geld für den Bus zum Hove Court hatte. Sie setzte sich enttäuscht auf ihren Koffer und strich mit hastigen Bewegungen den Rock ihrer  Schuluniform glatt. Ohne Hoffnung zwang sie ihre Augen noch einmal in die Ferne. Da entdeckte sie Owuor. Er stand ruhig am anderen Ende des Bahnsteigs und fast vor der Lokomotive - groß, vertraut, lachend und in der schwarzen Anwaltsrobe. Obwohl Regina wußte, daß Owuor ihr entgegenkommen würde, hetzte sie auf ihn zu.
    Sie hatte ihn fast erreicht und auch schon den Scherz, auf den er wartete, zwischen Zunge und Zähne gelegt, als sie merkte, daß er nicht allein war. Walter und Jettel, die sich hinter einem Stapel Brettern versteckt hatten, richteten sich langsam auf und winkten mit immer hastiger werdenden Gesten. Regina stolperte und stürzte fast über den Koffer, stellte ihn hin, rannte weiter, breitete die Arme aus, überlegte beim Laufen, wen sie nun zuerst umarmen sollte, und beschloß, Jettel und Walter so heftig aneinanderzuschieben, bis sie alle drei eine Einheit bildeten. Nur wenige Yards trennten sie noch von diesem alten, schon vor langem verlorengegebenen Traum. Da merkte sie, daß aus ihren Füßen kräftige Wurzeln wuchsen. Staunend blieb sie stehen. Ihr Vater war Sergeant und die Mutter schwanger.
    Die Größe des Glücks lähmte Reginas Beine nur kurz, doch ihre Sinne so sehr, daß jeder Atemzug seine eigene Melodie hatte. Ihr war es, als könne sie keinen Moment länger die Augen offenhalten, ohne das beseligende Bild zu zerstören. Es wurde dunkel, als sie auf Owuor zulief. Sie drückte ihren Kopf an den rauh gewordenen Stoff der zerschlissenen Robe, sah seine Haut durch die vielen winzigen Löcher und roch die Erinnerung, die sie wieder Kind machte, hörte sein Herz und brach in Tränen aus.
    »Das werde ich dir nie vergessen«, sagte sie, als sich ihre Lippen wieder bewegen ließen.
    »Ich hab's dir doch versprochen«, lachte Jettel. Sie trug dasselbe Kleid, in dem sie in Nakuru das Baby erwartet hatte, das nicht leben durfte. Das Kleid spannte, wie damals, über der
    Brust.
    »Aber ich habe gedacht, du hast es vergessen«, gestand Regina und schüttelte den Kopf.
    »Wie konnte ich? Du hast mich ja nicht gelassen.«
    »Einen Teil habe ich auch beigetragen.«
    »Das weiß ich, Sergeant Redlich«, kicherte Regina. Sie setzte umständlich den Hut auf, der am Boden lag, streckte drei Finger ihrer rechten Hand in die Luft und salutierte mit dem Pfadfindergruß.
    »Wann war es?«
    »Vor drei Wochen.«
    »Du willst mich doch nur veräppeln. Mama ist doch schon dick.«
    »Vor drei Wochen ist dein Vater Sergeant geworden. Deine Mutter ist im vierten Monat.«
    »Und ihr habt mir nichts geschrieben! Ich hätte doch schon beten können.«
    »Es sollte eine Überraschung sein«, sagte Jettel.
    »Wir wollten erst sicher sein, und mit dem Beten haben wir schon angefangen«, fügte Walter hinzu.
    Während Owuor in die Hände klatschte und seine Augen zum Bauch der Memsahib schickte, als hätte er die schöne Schauri soeben erst erfahren, sahen sich alle vier stumm an, und ein jeder wußte, woran die anderen dachten. Dann machten sechs Arme aus Walter, Jettel und Regina doch noch die Einheit von Dankbarkeit und Liebe. Es war also doch kein Kindertraum.
    Die Palmen am eisernen Tor vom Hove Court waren noch gefüllt mit dem Saft vom letzten großen Regen. Owuor zog ein rotes Tuch aus der Hose und verband Regina die Augen. Sie mußte sich auf seinen Rücken

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