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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Bruce Carruthers stand energisch auf, trat einen Käfer auf dem Fußboden tot, zerquetschte danach an der Fensterscheibe eine Grasmücke, die er für einen Moskito hielt, und setzte sich lustlos wieder hin. Es steigerte seinen Verdruß, daß er vor dem Gespräch mit dem ihm trotz einiger, schwer erklärbarer Vorbehalte eigentlich nicht unsympathischen Sergeant, der stets salutierte, als würde er gerade vor dem König stehen, und der Englisch wie ein lausiger Inder sprach, einen bestimmten Brief aus dem Papierhaufen auf seinem Schreibtisch herauswühlen mußte. Carruthers hatte eine Abneigung gegen jede Form von Disziplinlosigkeit und schon krankhaften Ekel vor einer Unordnung, die er selbst verschuldet hatte. Er grübelte -zu ausgiebig, wie er mißgestimmt befand - über den Umstand nach, daß ausgerechnet ihm, der Diskussionen noch mehr verabscheute als den Irrwitz beim Militär, immer die Aufgabe zufiel, seinen Leuten Dinge zu sagen, die sie nicht hören wollten.
    Nur ihm, der nichts anderes wollte, als endlich an einem nebligen Herbstmorgen die Princess Street entlangzuspazieren und die erste Verheißung des Winters auf der Haut zu spüren, hatte niemand mitgeteilt, daß sein Gesuch zur Entlassung aus der Army »bis auf weiteres zurückgestellt« worden war. Diese Enttäuschung hatte er sich zwei Tage zuvor selbst aus der Post herausfischen müssen. Seitdem war sich der Captain noch mehr im klaren als zuvor, daß Afrika nicht gut für einen Mann war, der vor fünf viel zu langen Jahren außer seinem Herzen eine sehr junge Frau in Edinburgh zurückgelassen hatte, die immer länger brauchte, um seine Briefe zu beantworten und schon lange nicht mehr befriedigend erklären konnte, weshalb das so war.
    Captain Carruthers empfand es als doppelte Ironie des Schicksals, daß er nun diesem komischen Sergeant mit den Augen eines ergebenen Collie beibringen mußte, die Army Seiner Majestät habe kein Interesse an der Verlängerung seiner Dienstzeit.
    »Weshalb in aller Welt will der Kerl überhaupt nach Deutschland«, brummte er.
    »Ich bin dort zu Hause, Sir.«
    Der Captain schaute Walter erstaunt an. Er hatte weder sein Klopfen an der Tür gehört noch gemerkt, daß er Selbstgespräche führte, was in letzter Zeit beklagenswert oft vorkam.
    »Sie wollten zur britischen Besatzungsarmy?«
    »Ja, Sir.«
    »Gar keine schlechte Idee. Ich vermute, Sie können Deutsch sprechen. Irgendwie scheinen Sie ja von dort zu kommen.«
    »Ja, Sir.«
    »Da wären Sie doch genau der Mann, um bei den fucking Jerries aufzuräumen.«
    »Ich denke ja, Sir.«
    »Die in London denken anders«, sagte Carruthers. »Falls die überhaupt denken«, lachte er mit jenem Hauch von Hohn, dem er den Ruf verdankte, er sei ein Offizier, mit dem sich allzeit gut reden ließ. Als ihm aufging, daß er seinen Witz vergeudet hatte, hielt er Walter schweigend den Brief hin. Er beobachtete einige Zeit und mit einer Ungeduld, die in keinem Verhältnis zum Anlaß stand, wie Walter sich mit den umständlichen Formulierungen der arroganten Londoner Bürokraten abquälte.
    »Die zu Hause wollen«, sagte er mit einer Schroffheit, die ihm, als er sie bemerkte, ein wenig leid tat, »keine Soldaten bei der Besatzungstruppe, die keinen englischen Paß haben. Was
    wollten Sie eigentlich in Deutschland?«
    »Ich wollte in Deutschland bleiben, wenn ich aus der Army entlassen werde.«
    »Warum?«
    »Deutschland ist meine Heimat, Sir«, stotterte Walter, »sor-ry, Sir, daß ich das sage.«
    »Macht nichts«, erwiderte der Captain zerstreut.
    Ihm war klar, daß er sich auf kein weiteres Gespräch einzulassen brauchte. Er war nur verpflichtet, seine Leute von Vorgängen in Kenntnis zu setzen, die sie betrafen, und sich zu vergewissern, daß sie auch die Entscheidungen begriffen hatten: Das war ja mit den vielen Ausländern und den verdammten Farbigen beim Militär wahrhaftig nicht mehr so selbstverständlich wie in der guten alten Zeit. Der Captain schüttelte eine Fliege von der Stirn. Er erkannte, daß er sich nur unnötig in einen Fall involvieren würde, der ihn nichts anging, wenn er die Unterredung nicht umgehend beendete.
    Ein Zwang, den er sich später nur mit der Duplizität des Schicksals und seiner Melancholie erklären konnte, ließ ihn jedoch zu lange das kurze Kopfnicken hinauszögern, um den Sergeant auf die übliche Art loszuwerden und sich selbst für die nächste Schlacht mit den idiotischen Moskitos freizumachen. Der Mann vor ihm hatte von Heimat gesprochen, und

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