Nirgendwo in Afrika
sobald sie auch nur seinen Namen erwähnte. Nach jedem Ausbruch sagte sie: »Wenn mein Mann wüßte, was ich hier durchmache, würde er mich sofort holen.«
Meistens verzogen sich die Frauen in ihre Zimmer, wenn Jet-tel sich ihrer Verzweiflung hingab, aber eines Abends, als ihr Schmerz noch lauter war als sonst, schnauzte Elsa Conrad sehr unerwartet und sehr laut: »Hör endlich auf mit dem Geplärre und tu was. Glaubst du, wenn man meinen Mann fortgebracht hätte, würde ich hier herumsitzen und heulen? Ihr jungen Frauen seid zum Kotzen.«
Jettel war so verblüfft, daß sie sofort zu schluchzen aufhörte. »Was kann ich denn tun?« fragte sie mit einer Stimme, die alle Weinerlichkeit verloren hatte.
Seit dem ersten Tag im Norfolk war Elsa Conrad eine von allen respektierte Autorität, die keinen Widerspruch duldete. Sie fürchtete weder Auseinandersetzungen noch Menschen, war die einzige Berlinerin in der Gruppe und als einzige nicht jüdisch. Schon ihre äußere Erscheinung imponierte. Elsa, so dick wie unbeweglich, hüllte bei Tag ihre Körperfülle in lange, geblümte Gewänder und abends in tief ausgeschnittene Festkleider. Sie trug feuerrote Turbane, die die Babys so erschreckten, daß sie losbrüllten, wenn sie Elsa nur sahen.
Sie stand morgens nie vor zehn Uhr auf, hatte bei Mr. Ap-plewaithe durchgesetzt, daß ihr Frühstück im Zimmer serviert wurde, und ermahnte ständig Kinder und mit der gleichen Ungeduld Frauen, die sich in ihrem Kummer vergruben oder sich über Kleinigkeiten beklagten. Gefürchtet wurde sie nur in den ersten Tagen. Ihre Schlagfertigkeit machte ihre Provokationen erträglich, ihr Humor versöhnte mit ihrem Temperament. Als sie ihre Geschichte erzählte, wurde sie zur Heldin.
Elsa hatte in Berlin eine Bar gehabt und nie die Angewohnheit, sich mit Gästen abzugeben, die ihr mißfielen. Wenige Tage nach den Synagogenbränden war eine Frau mit zwei Begleitern in Elsas Bar gekommen und hatte, noch im Mantel, Hetzreden gegen die Juden gehalten. Elsa hatte sie am Kragen gepackt, sie vor die Tür gesetzt und geschrien: »Wo glaubst du, kommt dein teurer Pelz her? Von den Juden gestohlen hast du ihn, du Hure.«
Das hatte ihr sechs Monate Zuchthaus und anschließend die sofortige Ausweisung aus Deutschland eingebracht. Elsa war mittellos in Kenia angekommen und schon in der ersten Woche von einem schottischen Ehepaar in Nanyuki als Kindermädchen engagiert worden. Mit den Kindern hatte sie sich nicht gut verstanden, mit den Eltern trotz der nur wenigen Brocken Englisch, die sie auf dem Schiff aufgeschnappt hatte, um so besser. Sie brachte ihnen Skat bei und dem Koch, Soleier einzulegen und Buletten zu braten. Bei Kriegsausbruch hatten sich die Schotten schweren Herzens von Elsa getrennt und nicht geduldet, daß sie auf den Lastwagen stieg. Sie hatten sie mit ihrem Wagen ins Norfolk gefahren und sie zum Abschied mit Flüchen auf die Engländer und Chamberlain umarmt.
Elsa kannte nur Sieg. »Was soll ich denn tun«, ahmte sie Jet-tels Stimme an dem Abend nach, als sie die Weichen für die Zukunft stellte. »Wollt ihr den ganzen Krieg hier hocken und Däumchen drehen, während man eure Männer festhält? Was schaut ihr mich denn so dämlich an? Könnt ihr nicht einmal vergessen, daß man euch auf Händen getragen hat? Setzt euch auf eure verwöhnten Hintern und schreibt an die Behörden. Es kann doch nicht so schwer sein, denen klarzumachen, daß die Juden nicht für Hitler sind. Eine von den feinen Damen wird doch bestimmt zur Schule gegangen sein und genug Englisch können, um einen Brief zu schreiben.«
Der Vorschlag, so wenig Erfolg er auch versprach, wurde schon deshalb angenommen, weil sich alle mehr vor Elsas Zorn fürchteten als vor der britischen Armee. Sie konnte ebenso gut organisieren wie reden und befahl vier Frauen mit ausreichenden Englischkenntnissen und Jettel wegen ihrer schönen Schrift, Briefe zu formulieren, die Schicksal dokumentierten und Standpunkte klärten. Mr. Applewaithe ließ sich unerwartet rasch überzeugen, daß es seine Pflicht war, die Post von Menschen weiterzuleiten, die das Hotelgelände nicht verlassen durften.
Mit einem so schnellen Erfolg der Aktion hatte selbst Elsa nicht gerechnet. Für die Militärbehörde war weder Ton noch Inhalt der Briefe ausschlaggebend, sondern der Umstand, daß ihr Bedenken gekommen waren. Nach den ersten Reaktionen aus London zweifelte man in Nairobi, ob tatsächlich alle Refugees hätten interniert werden müssen oder ob
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