Nirgendwo in Afrika
hatten.
Ob Whidett wollte oder nicht, die Familie Rubens, die ältere Bindungen an Kenia hatte als er selbst und ein so gepflegtes Englisch sprach wie die »old boys« in Oxford, machte ihn nachdenklich. Widerstrebend begann er sich mit dem Schicksal von Menschen zu beschäftigen, denen »man anscheinend Unrecht getan« hatte. Diese vorsichtige Formulierung pflegte er indes nur im privaten Kreis zu gebrauchen und dann auch zögernd, entsprach es doch weder seiner Erziehung noch seinen Prinzipien, besser über die Vorgänge im verdammten Europa Bescheid zu wissen als andere.
So sagte Whidett zu, wenn auch ohne Vertrauen in sein Urteil, den Vorschlag zu überprüfen, ob nicht wenigstens jene Leute aus dem Camp entlassen werden konnten, die auf den Farmen arbeiteten und wohl keine Möglichkeiten hatten, Kontakt mit dem Feind aufzunehmen. Zu seiner Überraschung wurde der Entschluß in Militärkreisen als weitsichtig begrüßt. Er erwies sich auch sehr bald als nötig. Wegen der Lage in Abessinien kündigte London die Entsendung eines Infanterieregiments aus Wales an, für das der Colonel die Baracken im Ngong brauchte.
Die Lastwagen vom Norfolk und New Stanley fuhren an einem Sonntag nach dem Mittagessen im Camp vor. Die Kinder winkten verlegen, und die Mütter wirkten ebenso verkrampft, als die Männer in ihren Khakiuniformen am Stachel drahtzaun erschienen. Die meisten Frauen hatten sich angezogen, als seien sie zu einem Gartenfest der besten Gesellschaft geladen. Manche hatten dekolletierte Kleider an, die sie zuletzt in Deutschland getragen hatten; einige hielten kleine, verwelkte Blumen in der Hand, die die Kinder im Hotelgarten gepflückt hatten.
Walter sah Jettel in ihrer roten Bluse und mit den weißen Handschuhen, die sie sich zur Auswanderung gekauft hatte. Das Abendkleid fiel ihm ein, und er hatte Mühe, seinen Ärger herunterzuschlucken. Gleichzeitig aber wurde ihm bewußt, wie schön seine Frau war und daß er sie selbst in den intimsten und erfüllten Momenten mit seinem gebrochenen Herzen betrogen hatte, das nur noch den Pulsschlag der Vergangenheit zu beleben wußte. Er fühlte sich alt, verbraucht und unsicher.
Einige bange Sekunden, die ihm unbarmherzig lang vorkamen, war ihm auch Regina fremd. Sie erschien ihm in den vier Wochen der Trennung gewachsen, und auch ihre Augen waren anders als in den Tagen von Rongai, als sie mit Aja unter dem Baum gesessen hatte. Walter versuchte, auf den Namen vom Reh zu kommen, um die Gemeinsamkeit zu finden, nach der ihn verlangte, aber das Wort fiel ihm nicht mehr ein. Da sah er Regina auf sich zurennen.
Während sie wie ein junger Hund an ihm hochsprang und noch ehe sie ihre dünnen Arme um seinen Hals legte, begriff er mit lähmendem Erschrecken, daß er seine Tochter mehr liebte als seine Frau. Schuldbewußt und doch mit einer Erregung, die er als belebend empfand, schwor er, daß keine von beiden je die Wahrheit erfahren würde.
»Papa, Papa«, schrie Regina in Walters Ohr und holte ihn in die Gegenwart, die mit einem Mal so viel leichter zu ertragen war als zuvor, »ich hab' eine Freundin. Eine richtige Freundin. Sie heißt Inge. Sie kann auch lesen. Und Mama hat einen Brief geschrieben.«
»Was für einen Brief?«
»Einen richtigen Brief. Damit wir dich besuchen dürfen.«
»Ja«, sagte Jettel, als sie Regina weit genug abgedrängt hatte, um Platz an Walters Brust zu finden, »ich habe eine Eingabe gemacht, damit du entlassen wirst.«
»Seit wann weiß meine Jettel, was eine Eingabe ist?«
»Ich mußte doch etwas für dich tun. Man kann doch nicht einfach dasitzen und Däumchen drehen. Vielleicht können wir bald zurück in unser Rongai.«
»Jettel, Jettel, was haben sie bloß aus dir gemacht? Du warst doch todunglücklich in Rongai.«
»Die Frauen wollen doch alle wieder auf die Farmen zurück.«
Der Stolz in Jettels Stimme rührte Walter. Noch mehr, daß ihr der Mut fehlte, ihn beim Lügen anzuschauen. Er hatte das Verlangen, ihr eine Freude zu machen, doch fielen ihm Schmeicheleien ebensowenig ein wie der Name vom Reh. Er war froh, als er Regina sprechen hörte.
»Ich hasse die Deutschen, Papa. Ich hasse die Deutschen.« -»Von wem hast du denn das gelernt?« »Von Inge. Sie haben ihren Vater verhauen und die Fenster in Dachau kaputtgeschmissen und alle Kleider auf die Straße geworfen. Inge weint in der Nacht, weil sie die Deutschen haßt.«
»Nicht die Deutschen, Regina, die Nazis.«
»Gibt es auch Nazis?«
»Ja.«
»Das muß ich Inge
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