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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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nachzutrauern.
    Sie strickten Pullover und nähten Blusen für ein renommiertes Geschäft in Nairobi und hatten ihre Männer ermutigt, eine Farm in Londiani zu pachten, die schon nach sechs Monaten erste Erträge brachte.
    Inge hatte in Weiden das Pogrom vom 9. November erlebt und zusehen müssen, wie die Schaufenster des elterlichen Geschäfts zertrümmert, Stoffe und Kleider auf die Straße geworfen und die Wohnung geplündert worden waren. Ihr Vater und die beiden Onkel waren aus dem Haus gezerrt, geschlagen und nach Dachau verschleppt worden. Als sie nach vier Monaten wiederkamen, hatte Inge keinen der drei erkannt. In der zweiten Woche im Norfolk, weil sie sich ihres Weinens in der Nacht schämte, erzählte sie Regina von den Erlebnissen, über die sie nie mit ihren Eltern sprach.
    »Mein Papa«, sagte Regina, als Inge fertig war, »hat keiner gehauen.«
    »Dann ist er kein Jude.«
    »Du lügst.«
    »Ihr kommt ja gar nicht aus Deutschland.«
    »Wir kommen«, erklärte Regina, »aus der Heimat. Aus Le-obschütz, Sohrau und Breslau.«
    »In Deutschland werden alle Juden verprügelt. Das weiß ich genau. Ich hasse die Deutschen.«
    »Ich auch«, versprach Regina, »ich hasse die Deutschen.«
    Sie nahm sich vor, sobald wie möglich ihrem Vater von ihrem neuen Haß, von Inge, den Kleidern auf der Straße und von Dachau zu erzählen. Obwohl sie den Vater viel seltener erwähnte als Owuor, Aja, Suara und Rummler, vermißte sie ihn und empfand die Trennung um so stärker, weil sie ihr Gewissen quälte. Sie hatte sich auf die Erde gelegt und den Lastwagen als erste gehört, der sie alle aus Rongai vertrieben hatte.
    Am kleinen Teich mit den weißen Wasserlilien, auf denen in der Mittagshitze die Schmetterlinge wie gelbe Wolken lagen, verriet sie Inge: »Ich habe den Krieg gemacht.«
    »Quatsch, die Deutschen haben den Krieg gemacht. Das weiß doch hier jeder.«
    »Das muß ich meinem Papa erzählen.«
    »Der weiß das schon.«
    Erst nach diesem Gespräch fiel Regina auf, daß alle Frauen vom Krieg sprachen. Sie waren schon lange nicht mehr so fröhlich wie in der ersten Zeit der Internierung. Immer häufiger sagten sie: »Wenn wir erst wieder auf der Farm sind«, und keine der Frauen mochte an die Hochstimmung erinnert werden, in der sie in Nairobi angekommen war. Der veränderte Ton im Norfolk steigerte die Sehnsucht nach dem Farmleben.
    Der Hotelmanager, ein hagerer und unliebenswürdiger Mann, hieß Applewaithe und gab sich schon längst keine Mühe mehr, seinen Ekel vor Menschen zu verbergen, die seinen Namen nicht aussprechen konnten. Er verabscheute Kinder, mit denen er bisher weder privat noch im Beruf zu tun gehabt hatte, und verbot den jungen Müttern, die Milch für die Babys in der Küche aufzuwärmen, Windeln auf den Balkon zu hängen und Kinderwagen unter die Bäume zu stellen. Immer deutlicher ließ er die Frauen spüren, daß sie für ihn ungebetene Gäste und, noch schlimmer, Enemy Aliens waren.
    Nach der ersten verwirrenden Euphorie, die das Glück der Gemeinschaft bei ihnen ausgelöst hatte, kehrten die Frauen konsterniert und schuldbewußt in die Realität zurück. Fast alle hatten noch Angehörige in Deutschland und begriffen nun, daß es für Eltern, Geschwister und Freunde kein Entkommen mehr gab. Das Wissen um diese Endgültigkeit und dazu die Erkenntnis, wie ungewiß die eigene Zukunft war, lähmten sie. Sie sehnten sich nach den Ehemännern, die zuvor alle Entscheidungen allein getroffen und die Verantwortung für die Familie übernommen hatten und von denen sie noch nicht einmal wußten, wohin sie gebracht worden waren. Das Bewußtwerden der eigenen Ohnmacht machte sie ratlos und führte erst zu kleinlichen Zänkereien und dann zu einer Apathie, die sie in die Vergangenheit flüchten ließ. Die Frauen überboten sich in Schilderungen, wie gut sie es in einem Leben gehabt hatten, das mit jedem Tag der erzwungenen Untätigkeit heller in der Erinnerung strahlte. Sie schämten sich ihrer Tränen und noch mehr, wenn sie »daheim« oder »zu Hause« sagten und nicht mehr wußten, ob sie von den Farmen oder von Deutschland sprachen.
    Jettel litt sehr am ungestillten Bedürfnis nach Schutz und Trost. Sie sehnte sich nach dem Leben in Rongai mit Owuors guter Laune und dem vertrauten Rhythmus der Tage, die ihr nicht mehr einsam, sondern voller Zuversicht und Zukunft erschienen. Sie vermißte selbst den Streit mit Walter, der im Rückblick zu einer Kette von zärtlichen Neckereien wurde, und sie weinte,

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