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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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es nicht rationeller gewesen wäre, zuvor ihre politische Einstellung zu überprüfen.
    Hinzu kam, daß viele Farmer mit der Einberufung zum Militär rechneten und ihre Farmen von den billigen und angenehm verantwortungsbewußten Refugees versorgt wissen wollten. Die Leserbriefspalte im »East African Standard« bestand fast ausschließlich aus Anfragen, weshalb ausgerechnet in Nairobi Kriegsgefangene in Luxushotels wohnen müßten. Auch die Besitzer vom Norfolk und New Stanley drängten fordernd auf deren Freigabe. Colonel Whidett hielt es für klug, zunächst einmal Flexibilität zu zeigen. Fürs erste gestattete er Kontakte für Ehepaare mit Kindern und stellte weitere Überlegungen in Aussicht. Genau zehn Tage, nachdem Mr. Applewaithe die Briefe bei der Militärbehörde abgegeben hatte, fuhren wieder die Lastwagen der Army vor. Sie hatten Auftrag, Mütter und Kinder ins Männerlager im Ngong zu bringen.
    Den Männern war es wie ihren Frauen ergangen. Die Internierung hatte sie aus Einsamkeit und Sprachlosigkeit zurück ins Leben geholt. Der Rausch der Erlösung war gewaltig. Alte Bekannte und Freunde, die sich zum letztenmal in Deutschland gesehen hatten, trafen sich wieder; Schicksalsgenossen vom Schiff fielen einander in die Arme; Fremde stellten fest, daß sie gemeinsame Freunde hatten. Tage- und nächtelang wurden Erfahrungen, Hoffnungen und Ansichten ausgetauscht. Die Davongekommenen erfuhren vom Leid, das das eigene klein machte. Sie lernten, wieder zuzuhören, und durften reden. Es war, als wäre ein Damm gebrochen.
    Nach der Zeit auf den Farmen allein mit Frau und Kindern und der Verpflichtung, Haltung zu bewahren und Angst zu verdrängen, oder auch nach Jahren allein auf einer Farm war jeder froh, in einer Gruppe von Männern zu leben. Wenigstens vorübergehend waren alle ohne wirtschaftliche Sorgen und ohne die quälende Gewißheit, daß eine Kündigung den sofortigen Verlust der Bleibe bedeutete. Schon die Atempause gaukelte dem Gemüt heilende Sicherheit vor. Es war Walter, der das danach immer wieder zitierte Wort prägte: »Jetzt haben die Juden endlich wieder einen König, der für sie sorgt.«
    In den ersten Tagen im Camp war es ihm, als sei er nach langer Reise auf entfernte Verwandte gestoßen, denen er sich sofort verbunden fühlte. Der ehemalige Frankfurter Rechtsanwalt Oscar Hahn, seit sechs Jahren Farmer in Gilgil, Kurt Pia-kowsky, ein Arzt aus Berlin und nunmehr Leiter der Wäscherei im Krankenhaus von Nairobi, und der Erfurter Zahnarzt Leo Hirsch, der als Manager auf einer Goldmine in Kisumu untergekommen war, waren Bundesbrüder von Walter und allzeit bereit, mit ihm Erinnerungen an die gemeinsamen Freunde und Freuden der Studentenzeit auszutauschen.
    Heini Weyl, der Freund aus Breslau, hatte sich trotz Gelbfiebers und Amöbenruhr in Kisumu weder Lebensmut noch Humor nehmen lassen. Ebenfalls Breslauer war Henry Guttmann, der viel beneidete Optimist. Er war zu jung gewesen, um in Deutschland Beruf und Existenz zu verlieren, und gehörte zum kleinen Kreis der Auserwählten, die mehr Zukunft als Vergangenheit hatten. Max Bilawasky, der sich innerhalb eines Jahres mit einer eigenen Farm in Eldoret ruiniert hatte, stammte aus Kattowitz und kannte Leobschütz.
    Siegfried Cohn, ein Fahrradhändler aus Gleiwitz, war gut bezahlter Ingenieur in Nakuru und hatte auch sprachlich den Anschluß an sein neues Leben gefunden, indem er sein hartes Oberschlesisch mit nasalem englischem Klang durchsetzte. Überglücklich war Walter mit Jakob Oschinsky. Er hatte in Ratibor ein Schuhgeschäft gehabt, war auf einer Kaffeefarm in Thika untergekrochen und hatte auf einer Reise mal in Redlichs Hotel in Sohrau übernachtet. Er konnte sich gut an Walters Vater erinnern und schwärmte von Liesels Schönheit, Hilfsbereitschaft und Krautkuchen.
    Alle Internierten hatten solche Erlebnisse. Sie holten unterdrückte Bilder aus der Versenkung, die wie ein Jungbrunnen für die verwirrten Seelen waren. Dennoch hielt die gute Stimmung bei den Männern nicht so lange an wie bei den Frauen.
    Zu schnell wurde ihnen bewußt, daß Muttersprache und Erinnerungen kein ausreichender Ersatz waren für die Heimat, die gestohlene Habe, für den Verlust von Stolz und Ehre und für zerstörtes Selbstbewußtsein. Als die hastig vernarbten Wunden wieder aufbrachen, waren sie schmerzhafter als zuvor.
    Der Krieg hatte den Funken Hoffnung erlöschen lassen, in Kenia schnell und nur deshalb Wurzeln zu schlagen, weil die Sehnsucht so gewaltig

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