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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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verließ, ehe er den Tee zum Abendessen aufgebrüht hatte, stand vor dem brennenden Kamin und schickte seine Augen zum gestapelten Holz. Auch Regina war schon da. Sie hatte ihre Gummistiefel ausgezogen und saß mit Rummler unter dem Fenster, als sei sie nie fortgewesen. Der Hund leckte ihr Gesicht ab, doch sie blickte zu Boden, kaute an einer Haarsträhne und drückte sich immer wieder an den massigen Körper des Tieres. Da wußte Walter, daß seine Tochter weinte. Er würde ihr nichts mehr erklären müssen.
    »Mama hat mir versprochen«, schluchzte Jettel, ohne daß ihr noch Tränen kamen, »dazusein, wenn ich wieder ein Kind bekomme. Sie hat es mir ganz fest versprochen, als Regina gebo-ren wurde. Kannst du dich nicht erinnern?«
    »Nicht, Jettel, nicht. Erinnerungen quälen nur. Setz dich hin.«
    »In die Hand hat sie es mir versprochen. Und sie hat immer ihre Versprechen gehalten.«
    »Du darfst nicht weinen, Jettel. Tränen sind nicht mehr für unsereinen. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen, daß wir davongekommen sind. Das wird nie mehr anders. Du bist nicht nur Tochter, du bist auch Mutter.«
    »Wer sagt so was?«
    »Der liebe Gott. Er hat es mir im Camp durch Oha sagen lassen, als ich nicht mehr weitermachen wollte. Und mach dir keine Sorgen, Jettel. Kinder werden wir keine mehr haben, bis die Zeit es wieder gut mit uns meint. Owuor, du holst der Memsahib jetzt ein Glas Milch.«
    Owuor nahm sich noch mehr Zeit als an den Tagen ohne Salz, um sich zu entscheiden, welches Stück Holz er ins Feuer werfen sollte. Als er aufstand, sah er Jettel an, obwohl er zu Walter sprach.
    »Ich werde«, sagte er mit einer Zunge, die lange brauchte, ehe sie ihm gehorchte, »die Milch warm machen, Bwana. Wenn die Memsahib zu viel weint, bekommst du wieder keinen Sohn.« Ohne sich umzudrehen, ging er zur Tür.
    »Owuor«, rief Jettel, und ein großes Staunen machte endlich ihre Stimme wieder fest, »woher weißt du?«
    »Alle auf der Farm wissen, daß Mama ein Baby kriegt«, sagte Regina und zog Rummlers Kopf auf ihren Schoß, »alle außer Papa.«
    Dr. James Charters bemerkte das Zucken seiner linken Augenbraue und das ärgerliche Mißverständnis, als die beiden ihm unbekannten Frauen vor seinem Lieblingsbild mit den prächtigen Jagdhunden standen. Sie waren noch mindestens zwei Fuß von ihm entfernt und streckten ihm bereits die Hand entgegen. Das war Beweis genug, daß die Leute vom Kontinent stammten. Der geübt unauffällige Blick auf die kleine gelbe Karte neben dem Tintenfaß bekräftigte den Verdacht. Unter dem fremdartigen Namen fand Charters den Vermerk, daß das Stag's Head die Patientin zur Konsultation angemeldet hatte.
    Seit Kriegsausbruch war kein Verlaß mehr auf Hotelrezeptionen. Offenbar hatten sie Schwierigkeiten, Gäste einzuschätzen, die das ganze Lebensgefüge der Kolonie verändert hatten. In dem einzigen Hotel von Nakuru hatten fast ausschließlich die Farmer der Umgebung gewohnt, die sich ein paar freie Tage und die Illusion von Großstadtleben genehmigten, wenn sie ihre Kinder in der Schule ablieferten, zum Arzt mußten oder bei den Distriktbehörden zu tun hatten. In jener Zeit, die Charters bereits die gute alte nannte, obgleich sie tatsächlich noch keine vollen drei Jahre zurücklag, stiegen gelegentlich auch Jäger im Stag's ab, meistens aus Amerika. Es waren sympathisch harte Burschen, die auf keinen Fall einen Gynäkologen brauchten und mit denen sich der Arzt, unbeschwert von beruflichen Dingen, gut unterhalten konnte.
    Charters, der gerade neue Patientinnen nie länger warten ließ als nötig, nahm sich mit einem nur mühsam unterdrückten Seufzer Zeit zu weiteren unerfreulichen Grübeleien. Er lebte nicht mehr gern in Nakuru. Ohne den Krieg hätte er sich nach dem Tod seiner Tante und der unerwartet hohen Erbschaft eine Praxis in London gegönnt. Die Harley Street war schon früh sein Traum gewesen, doch hatte er das Ziel unvorsichtigerweise aus den Augen verloren, als er in zweiter Ehe eine Farmerstochter aus Naivasha heiratete. Seine junge Frau hatte ihn immer wieder umstimmen können und nun eine so panische Angst vor dem Blitzkrieg, daß sie auf keinen Fall mehr zu einem Umzug nach London zu bewegen war. Er tröstete sich mit einem Hochgefühl, das er sich jahrelang versagt hatte, und nahm keine Patientinnen mehr an, die nicht seinem gesellschaftlichen Niveau entsprachen.
    Während Charters akribisch eine tote Fliege vom Fenster kratzte, betrachtete er in der Scheibe die beiden

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