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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Frauen, die sich unaufgefordert auf die frischbezogenen Stühle vor seinem Schreibtisch gesetzt hatten. Zweifellos war die Jüngere die Patientin und eine Peinlichkeit, die ausschließlich auf die Unachtsamkeit von Miss Colins ging, die erst seit vier Wochen für Charters arbeitete und noch nicht die Intuition für Dinge hatte, die ihm wichtig waren.
    Die Ältere der beiden, fand Charters mit einem Hauch von Interesse, das er im Angesicht der bestimmt auf ihn zukommenden Diskussionen recht unangebracht fand, hätte man, bis sie den Mund aufmachte, durchaus für eine Lady aus der englischen Provinz halten können. Sie war schlank, gepflegt, wirkte selbstsicher und hatte jenes schöne blonde Haar, das er bei Frauen schätzte. Sah irgendwie norwegisch aus, die grazile Person, und auf alle Fälle so, als sei sie es gewohnt, sich Arztbesuche etwas kosten zu lassen.
    Die Patientin war mindestens im sechsten Monat, und, wie Charters erkannte, nicht in jenem gesundheitlichen Zustand, den er bei Schwangeren schätzte, wenn es keine leidigen Komplikationen geben sollte. Sie trug ein geblümtes Kleid, das ihm typisch für die Mode der dreißiger Jahre auf dem Kontinent erschien. Der lächerliche weiße Spitzenkragen erinnerte ihn auf geradezu groteske Weise an die Kleinbürgerfrauen der Viktorianischen Zeit und an den Umstand, daß er sich bisher nie mit ausgerechnet diesem Stand hatte beschäftigen müssen. Das Kleid betonte bereits die Brust und machte aus dem Bauch eine Kugel, wie Charters sie nur unmittelbar vor dem Geburtstermin gelten ließ. Bestimmt hatte die Frau schon im ersten Monat ihrer Schwangerschaft für zwei gegessen. Die fremden Völker waren durch nichts von ihren abwegigen Gewohnheiten abzubringen. Die Frau war blaß und sah angestrengt aus, verschüchtert wie ein Dienstmädchen, das ein uneheliches Kind erwartet, und geradezu so, als sei Schwangerschaft eine Strafe des Schicksals. Bestimmt war sie wehleidig. Charters räusperte sich. Er hatte nicht viele, aber doch sehr nachhaltige Erfahrungen mit den Leuten vom Kontinent. Sie waren übertrieben empfindlich und nicht kooperativ genug, wenn es darum ging, Schmerzen auszuhalten.
    In den ersten Kriegsmonaten hatte Charters die Frau eines jüdischen Fabrikbesitzers aus Manchester von Zwillingen entbunden. Dem Paar war es durch die plötzliche Verknappung der Schiffspassagen nicht mehr gelungen, rechtzeitig nach England zurückzukehren. Die Leute waren sogar absolut korrekt gewesen und hatten, ohne zu murren, das stark überhöhte Honorar gezahlt, das Charters im Kollegenkreis als Schmerzensgeld für den Arzt bezeichnete. Trotzdem war ihm der Fall in schlechter Erinnerung geblieben. Er hatte ihn gelehrt, daß die jüdische Rasse im allgemeinen wohl nicht genug Disziplin aufbrachte, um in entscheidenden Momenten die Zähne zusammenzubeißen.
    Damals hatte sich Dr. James Charters vorgenommen, nie mehr Patientinnen zu behandeln, die nicht seiner Denkart entsprachen, und er hatte auch jetzt nicht vor, eine Ausnahme zu machen, die nur beide Teile belastet hätte. Schon gar nicht im Fall einer Frau, die sich so augenscheinlich noch nicht einmal ein vernünftiges Umstandskleid leisten konnte.
    Als Charters nicht mehr einfiel, was er sonst noch mit einem Fenster hätte machen können, als es ein paarmal aufzureißen und wieder zu schließen, wandte er sich seinen Besucherinnen zu. Irritiert merkte er, daß die blonde Frau bereits sprach. Es war genau, wie er befürchtet hatte. Der Akzent war ausgesprochen unangenehm und auf keinen Fall charmant norwegisch gefärbt wie in den hübschen Filmen, die man neuerdings sah.
    Die Blondine hatte gerade gesagt: »Mein Name ist Hahn, und das hier ist Mrs. Redlich. Es geht ihr nicht gut. Schon seit dem vierten Monat.«
    Charters räusperte sich zum zweitenmal. Es war kein zufälliges Hüsteln, sondern ein Ton mit genau dosierter Schärfe, der nicht zu weiteren Vertraulichkeiten animierte, ehe die Situation geklärt war.
    »Machen Sie sich bitte keine Gedanken über das Honorar.«
    »Das tue ich nicht.«
    »Gewiß nicht«, erkannte Lilly und bemühte sich, Verlegenheit hinunterzuschlucken, ohne daß ihre Mimik sie verriet, »aber das ist alles geregelt. Mrs. Williamson hat uns geraten, Sie darauf aufmerksam zu machen.«
    Angestrengt überlegte Charters, ob und wann er den Namen schon einmal gehört hatte. Er wollte gerade darauf hinweisen, daß Mrs. Williamson ganz gewiß nicht zu seinen Patientinnen gehörte, da fiel ihm ein, daß

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