Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
verdammtes Mistvieh von Arzt. Das haben wir alles schon gehabt, daß einer keine Juden behandelt.«
    Charters ließ seine Augenbrauen nur leicht zucken, als er irritiert: »Pardon?« fragte, doch Lilly war aufgestanden und zog Jettel, die schwer atmete und gleichzeitig ihre Schultern zu straffen versuchte, vom Stuhl hoch. Schweigend verließen Lilly und Jettel den Raum. Sie kicherten in dem dunklen Flur und ließen es zu, daß die Albernheit, die sich nicht unterdrücken ließ, ihnen Hilflosigkeit und Frösteln nahm. Erst als sie im selben Augenblick verstummten, merkten sie, daß sie weinten.
    Lilly hatte vorgehabt, wenigstens die ersten zwei Wochen von Jettels Wartezeit in Nakuru zu bleiben, doch schon am nächsten Tag erhielt sie einen Brief von ihrem Mann und mußte zurück nach Gilgil.
    »Ich komme zurück, sobald mich Oha entbehren kann«, tröstete sie, »und das nächstemal bringen wir Walter mit. Es ist jetzt wichtig, daß du nicht mehr als nötig allein bist und ins Grübeln kommst.«
    »Mach dir keine Sorgen, mir geht's gut«, sagte Jettel, »Hauptsache, ich muß Charters nie wieder sehen.«
    Am ersten Tag ohne Lillys Fürsorge und ansteckenden Optimismus bestand ihre Welt nur aus den schwarzen Löchern der Einsamkeit. »Ich muß sofort zurück«, schrieb sie an Walter, hatte jedoch keine Briefmarken und genierte sich, in ihrem schlechten Englisch am Empfang des Hotels danach zu fragen. Bereits Ende der Woche erschien ihr aber der nicht abgeschickte Brief als ein Wink des Schicksals.
    Jettels Einstellung zu sich selbst hatte sich verändert. Ihr wurde bewußt, daß Charters und seine demütigende Behandlung sie gar nicht so sehr verletzt, sondern ihr paradoxerweise sogar Mut zu einem lange verdrängten Eingeständnis gegeben hatten.
    Weder sie noch Walter hatten ein zweites Kind gewollt, aber keiner von beiden hatte gewagt, das auszusprechen. Jetzt, da Jettel allein mit ihren Gedanken war, brauchte sie keine Freude mehr zu heucheln. Sie machte sich klar, daß sie nicht stark genug war, allein auf der Farm mit einem Baby und der ständigen Angst zu leben, im entscheidenden Augenblick ohne ärztliche Hilfe zu sein, doch sie schämte sich nicht mehr ihrer Schwäche. Leichter zu ertragen erschien ihr auch die Scham, daß Hahns und die kleine Jüdische Gemeinde in Nakuru für sie das Hotelzimmer im Stag's Head bezahlen mußten.
    Jettel lernte, den kleinen Raum mit seiner kargen Einrichtung, ein auffälliger Kontrast zum Luxus der Aufenthaltsräume, als Schutz vor einer Welt zu empfinden, die ihr verschlossen war. Sie konnte sich mit keinem der Gäste unterhalten, kein Buch aus der Bücherei lesen und gab es nach einem einzigen Versuch auf, an den Radiosendungen teilzunehmen, die nach dem Dinner für die Gäste in Abendkleid und Smoking im Salon ausgestrahlt wurden. Nur zwei von ihren Kleidern paßten noch; ihre Haut wurde trocken und grau; sie hatte Mühe, ihre Haare in der kleinen Schüssel zu waschen, und ständig das Gefühl, sie müßte den übrigen Gästen ihren Anblick ersparen. So verließ sie ihr Zimmer nur zu den Mahlzeiten und zum täglichen Rundgang im Garten, den die Ärztin ihr bei jedem Besuch mit beschwörender Stimme und vielen Gesten verordnete.
    »Babys need walks«, pflegte Dr. Arnold zu kichern, wann immer sie Jettels Bauch abtastete.
    Sie hatte sich ein Leben lang auf die Natur und das körperliche Vermögen verlassen, sich selbst zu helfen, und ließ sich nie anmerken, daß Jettel ihr Sorgen machte. Die Ärztin kam jeden
    Mittwoch ins Stag's Head, brachte vier Briefmarken mit und legte ein englisch-italienisches Wörterbuch und die letzte Ausgabe der Sunday Post auf den wackeligen Tisch, obwohl sie schon bei der ersten Konsultation erkannt hatte, daß beide nutzlos waren.
    Janet Arnold war eine warmherzige Frau, die schwach nach Whisky und intensiv nach Pferden roch und noch mehr Zuversicht als gute Laune ausstrahlte. Sie umarmte Jettel zur Begrüßung, lachte schallend bei der Untersuchung und streichelte ihr beim Weggehen den Bauch.
    Jettel drängte es, der kleinen, rundlichen Frau in der abgetragenen Männerkleidung ihre Sorgen anzuvertrauen und mit ihr über den Verlauf einer Schwangerschaft zu sprechen, die sie nicht als normal empfand. Die Sprachbarriere war nicht zu überwinden.
    Am besten glückte noch die Verständigung auf Suaheli, aber beide Frauen wußten, daß sich da der Wortschatz nur für werdende Mütter eignete, die ihre Kinder auch ohne ärztliche Hilfe zur Welt bringen

Weitere Kostenlose Bücher