Nirgendwo in Afrika
konnten. So beschränkte sich Dr. Arnold, sobald sie glaubte, alles Wesentliche gesagt zu haben, auf Worte aus allen fremden Sprachen, die sie in ihrem abenteuerlichen Leben aufgeschnappt hatte. Immer wieder versuchte sie es mit Afrikaans und Hindi. Ebenso vergebens suchte sie Hilfe bei den gälischen Lauten ihrer Kindheit.
Als junge Ärztin hatte Janet Arnold zu Beginn des Ersten Weltkriegs einen deutschen Soldaten in Tanganyka versorgt. An ihn selbst erinnerte sie sich nicht mehr, aber in seinen verlöschenden Lebenstagen hatte er oft »verdammter Kaiser« gesagt. Die beiden Worte hatte sie gut genug behalten, um sie an Patienten auszuprobieren, von denen sie mutmaßte, sie würden aus Deutschland stammen. In vielen Fällen war so das lachende Einverständnis entstanden, das Dr. Arnold als Heilerfolg wertete. Es tat ihr leid, daß ausgerechnet Jettel, die sie so gern we-nigstens einmal fröhlich erlebt hätte, überhaupt nicht auf ihre Muttersprache reagierte.
Für Jettel war die Erfahrung neu, mit niemandem Trauer und Verzweiflung teilen zu können, und doch vermißte sie die Ansprache, nach der sie auf der Farm gedürstet hatte, nicht mehr. Oft wunderte sie sich, daß ihr auch Walter so wenig fehlte und daß sie sogar froh war, ihn so weit weg in Ol' Joro Orok zu wissen. Sie spürte, daß seine Hilflosigkeit die ihrige nur vergrößert hätte. Um so mehr freute sie sich an seinen Briefen. Sie waren voll von einer Zärtlichkeit, die sie in unbeschwerten Jahren als Liebe empfunden hatte. Trotzdem grübelte sie, ob ihre Ehe je wieder mehr würde werden können als eine Schicksalsgemeinschaft.
Jettel glaubte nicht an ein gutes Ende ihrer Schwangerschaft. Noch immer lähmte sie der Schock im ersten Monat, als der Brief aus Breslau ihr alle Hoffnung für ihre Mutter und Schwester genommen hatte. Sie nahm den Kampf gegen die Vorahnung gar nicht erst auf, der Brief wäre ein Hinweis auf das Unheil, das ihr selbst drohte. Allein der Gedanke, sie solle neues Leben gebären, erschien ihr Hohn und Sünde.
Die Vorstellung ließ Jettel nicht mehr los, das Schicksal habe ihr bestimmt, der Mutter in den Tod zu folgen. Dann stellte sie sich quälend genau Walter und Regina auf der Farm vor und wie sich beide plagten, den mutterlosen Säugling durchzubringen. Manchmal sah sie auch Owuor lachend das Kind auf seinen großen Knien schaukeln, und schreckte sie nachts auf, merkte sie, daß sie nach Owuor und nicht nach Walter gerufen hatte.
Drohten Angst und Fantasie sie zu erdrücken, verlangte es Jettel nur nach Regina, die sie so nah und doch unerreichbar wußte. Die Nakuru School und das Stag's Head waren nur vier Meilen voneinander entfernt, aber die Schulordnung gestattete es nicht, daß Regina ihre Mutter besuchte. Ebensowenig hätte sie Jettel erlaubt, ihre Tochter zu sehen. Nachts sah Jettel die Lichter der Schule auf dem Hügel brennen und klammerte sich an den Gedanken, Regina würde ihr aus einem der vielen Fenster zuwinken. Sie brauchte immer länger, um nach solchen Träumereien in die Realität zurückzukehren.
Auch Regina, die sich nie über die lange Trennung von den Eltern beklagt hatte, quälte sich. Fast täglich trafen im Hotel kurze, in unbeholfenem Deutsch geschriebene Briefe ein. Die Fehler und die ihr unverständlichen englischen Ausdrücke bewegten Jettel noch mehr als die in Blockschrift gemalte Bitten um Briefmarken. »Du must take care von dir«, stand am Anfang von jedem Brief, »that du nicht grang wirst.« Fast immer schrieb Regina: »Ich will dir besooken, aber ich erlaube es nicht. Wir sind hier soldiers.« Der Satz: »Ich freue mir auf das baby«, war stets mit roter Tinte unterstrichen, und oft hieß es: »Ich make wie Alexander the Great. Du must nicht have anst.«
Jettel erwartete die Briefe mit soviel Ungeduld, weil sie ihr tatsächlich Mut machten. Auf der Farm hatte es sie belastet, daß sie nur schwer Kontakt zu Regina fand, und nun waren ihr die Anhänglichkeit und Fürsorge ihrer Tochter einzige Stütze in ihrer Not. Jettel war es, als erlebe sie aufs neue die enge Verbindung zu ihrer Mutter. Jeder Brief machte ihr mehr bewußt, daß Regina mit ihren fast zehn Jahren kein Kind mehr war.
Nie stellte sie Fragen und begriff doch alles, was ihre Eltern bewegte. Hatte Regina nicht vor Walter gewußt, daß ihre Mutter schwanger war? Sie kannte sich mit Geburt und Tod aus und lief zu den Hütten, wenn eine Frau in Wehen lag, aber Jet-tel hatte nie den Mut gehabt, mit ihrer Tochter über die
Weitere Kostenlose Bücher