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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Dinge zu sprechen, die sie dort erlebte. Überhaupt hatte sie nur selten mit ihr ohne Befangenheit reden können, aber jetzt hatte sie den Drang, Regina ihre Sorgen anzuvertrauen.
    Die Briefe an die Tochter fielen Jettel leichter als die an ih-ren Mann. Es wurde ihr Bedürfnis, ihren körperlichen Zustand genau zu schildern, und sehr bald empfand sie es als Befreiung, von ihrer seelischen Not zu schreiben. Wenn sie die Hotel-briefbögen mit ihrer großen, deutlichen Schrift füllte und sich die Blätter vor ihr stapelten, konnte sie noch einmal die zufriedene kleine Jettel aus Breslau sein, die beim geringsten Kummer nur eine Treppe hochzustürmen brauchte, um bei der Mutter Trost zu finden.
    Ende Juli setzte der große Regen in Gilgil ein und ertränkte Jettels letzten Funken Hoffnung, Hahns könnten mit Walter bei ihr im Hotel auftauchen. In Nakuru kochten die Tage und auch die Nächte. Der Rasen im Hotelgarten verglühte in der verdursteten roten Erde, und die Vögel verstummten schon morgens. Die Luft vom salzigen See hatte eine so beißende Schärfe, daß ein zu tiefer Atemzug unvermittelt in Brechreiz überging. Schon um die Mittagszeit erstarb alles Leben.
    Jeden Sonntag, wenn noch nicht einmal Aussicht auf Post von Regina bestand, kämpfte Jettel gegen die Versuchung, nicht aufzustehen, nichts zu essen und die Zeit im Schlaf herunterzuwürgen. Kaum war die Sonne am Himmel, wurde die feuchte Hitze so drückend, daß sie sich doch anzog und auf den Bettrand setzte. Dort konzentrierte sie sich nur darauf, jede unnötige Bewegung zu vermeiden. Stundenlang starrte sie auf die glatte Fläche des Sees, der kaum noch Wasser hatte, und wünschte sich nichts mehr, als ein Flamingo zu werden, der nur Eier auszubrüten hatte.
    In dem Schwebezustand zwischen verdrossener Wachheit und unruhigem Dämmern war Jettel besonders empfänglich für Geräusche. Sie hörte die Hausboys den Ofen in der Küche anmachen, die Kellner im Speisesaal mit dem Besteck klappern, den kleinen Hund im Nebenzimmer winseln und jedes Auto, ehe es vor dem Hoteleingang haltmachte. Obwohl sie selten die Gäste sah, die mit ihr auf dem Flur wohnten, konnte sie deren  Schritte, Stimmen und Husten unterscheiden. Chai, der barfüßige Kikuyu, der um elf Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags den Tee servierte, brauchte noch nicht einmal die Türklinke zu Jettels Zimmer zu berühren, und sie wußte schon, daß er da war. Nur als Regina kam, hörte sie nichts.
    Es war der letzte Juli-Sonntag, als Regina dreimal klopfte und dann sehr langsam die Tür aufmachte, und Jettel ihre Tochter anstarrte, als hätte sie sie nie zuvor gesehen. In dem gespenstischen Augenblick ohne Sinne und Gedächtnis, ohne Freude und ohne Reaktion, betäubt von der Unfähigkeit zu begreifen, überlegte Jettel nur, in welcher Sprache sie reden sollte. Schließlich erkannte sie das weiße Kleid und erinnerte sich, daß die Nakuru School weiße Kleider für den wöchentlichen Kirchgang verlangte.
    Der indische Schneider, der in regelmäßigen Abständen nach Ol' Joro Orok kam und seine Nähmaschine unter einem Baum vor Patels Duka aufstellte, hatte es aus einer alten Tischdecke genäht. Er hatte sich die weißen Rüschen am Hals und an den Ärmeln nicht ausreden lassen und dafür drei Shilling extra genommen. Mit einem Mal erinnerte sich Jettel an jedes Wort des Gesprächs und wie Walter das Kleid gesehen und gesagt hatte: »Als Tischdecke in Redlichs Hotel hat es mir besser gefallen.«
    Walters Stimme kam Jettel zu laut und sehr barsch vor, und sie setzte, sehr verärgert, zum Widerspruch an, doch die Worte klebten in ihrem Mund wie die alte, blaue Kittelschürze an ihrem Körper. Die Anstrengung war so groß, daß sich der Druck in ihrer Kehle löste und sie in Tränen ausbrach.
    »Mummy«, rief Regina mit hoher, fremder Stimme. »Mama«, flüsterte sie in vertrauter Tonlage.
    Sie atmete wie ein hetzender Hund, der nur die Beute sieht und nicht spürt, daß er sie schon verloren hat. Ihr Gesicht hatte das drohende Rot von nächtlich brennenden Wäldern. Schweiß lief von der Stirn durch eine feine Schicht von rötlichem Staub.
    Dunkel tropfte die Nässe aus dem Haar auf das weiße Kleid.
    »Regina, du mußt ja gerannt sein wie der Teufel. Wo kommst du bloß her? Wer hat dich hergebracht? Um Gottes willen, was ist passiert?«
    »Ich hab' mich hergebracht«, sagte Regina und kaute am Genuß, daß ihre Stimme wieder fest genug war, um den Stolz zu halten. »Ich bin auf dem Weg zur

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