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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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dir nichts aus?«
    »Ja. Es macht mir nichts aus.«
    »Aber kein Kind will bestraft werden!«
    »Ich will«, lachte Regina. »Weißt du, wenn wir eine Strafe haben, müssen wir Gedichte lernen. Ich liebe Gedichte.«
    »Ich habe auch gern Gedichte aufgesagt. Wenn wir wieder alle zusammen auf der Farm sind, sage ich dir Schillers Glocke auf. Die kann ich noch.«
    »Ich brauche Gedichte.«
    »Wozu?«
    »Vielleicht«, erklärte Regina, ohne zu merken, daß sie ihre Stimme auf Safari geschickt hatte, »muß ich mal ins Gefängnis. Dann werden sie mir alles fortnehmen. Meine Kleider, mein Essen und meine Haare sind dann weg. Sie werden mir auch keine Bücher geben, aber die Gedichte werden sie nicht bekommen. Die sind in meinem Kopf. Wenn ich sehr traurig bin, werde ich mir meine Gedichte sagen. Ich habe mir das alles genau ausgedenkt, aber das weiß niemand. Auch Inge weiß nichts von meinen Gedichten. Wenn ich das erzähle, geht der Zauber weg.«
    Obwohl sie schneidende Schmerzen im Rücken und auch beim Atmen hatte, hielt Jettel ihre Tränen in sich, bis Regina gegangen war. Dann drückte sie ihre Trauer so heftig an sich wie zuvor ihre Tochter. Sie wartete fast mit Verlangen auf die Verzweiflung, deren Vertrautheit sie stützen würde. Staunend und auch mit einer Demut, die sie zuvor nie empfunden hatte, wurde ihr aber bewußt, daß der Wille zu ihr gekommen war, sich dem Leben zu stellen. Für Regina, die ihr den Weg gezeigt hatte, war Jettel entschlossen zu kämpfen. Es war nur noch der körperliche Schmerz, der sie in den Schlaf begleitete.
    In der Nacht setzten, vier Wochen zu früh, die Wehen ein, und am nächsten Morgen sagte ihr Janet Arnold, daß das Kind tot war.
9
    Der letzte Tag ohne die Memsahib war für Owuor süß wie der Saft von jungem Zuckerrohr und nicht länger als eine Nacht im vollen Mondlicht. Schon kurz nach Sonnenaufgang ließ er Ka-nia die Bretter zwischen dem Ofen, Schrank und dem neu geschichteten Holzstapel mit kochendem Wasser schrubben. Ka-mau mußte alle Töpfe, Gläser und Teller und auch den von der Memsahib geliebten kleinen roten Wagen mit den winzigen Rädern in heiße Seifenlauge tauchen. Jogona badete den Hund so lange, bis er wie ein kleines weißes Schwein aussah. Kimani willigte auf Owuors Drängen noch zur rechten Zeit ein, mit seinen Schambaboys dafür zu sorgen, daß die Geier die Dornenbäume vor dem Haus freigaben. Owuor hatte mit dem Bwana nicht über die Geier gesprochen, aber sein Kopf sagte ihm, daß da weiße Frauen bestimmt nicht anders waren als schwarze. Wer den Tod gesehen hatte, wollte die Flügel der Geier nicht schlagen hören.
    Owuor rieb mit einem Tuch, das so weich war wie der Stoff am Hals seines schwarzen Umhangs, den langen Kochlöffel ab und hörte erst auf, als ihn seine eigenen Augen im glänzenden Metall anblickten. Sie tranken bereits die Freude von den Tagen, die noch nicht gekommen waren. Es war gut, daß der Löffel bald wieder für die Memsahib in der dicken braunen Soße aus Mehl, Butter und Zwiebeln tanzen durfte. Während Owuor seine Nase mit dem Geruch von Freuden aufweckte, die sie zu lange hatte entbehren müssen, kehrte Zufriedenheit zu ihm zurück.
    Es war nicht mehr so leicht wie in den gestorbenen Tagen von Rongai, für den Bwana allein zu arbeiten. Wenn er allein auf der Farm war, ließ er die Suppe kalt und den Pudding grau werden. Seine Zunge wußte nicht mehr, sich am Geschmack vom Brot festzuhalten, das aus dem Ofen kam. An dem bösen Tag, als die Memsahib mit dem Kind im Bauch nach Nakuru gebracht wurde, hatten die Augen vom Bwana aufgehört, sein Herz wachzutrommeln. Von da ab hatte er sich wie ein alter Mann bewegt, der nur noch auf die Rufe seiner schreienden  Knochen wartet und die Stimme von Mungo nicht mehr hört.
    In den Tagen zwischen der großen Trockenheit und dem Tod des Kindes hatte Owuor gedacht, der Bwana hätte keinen Gott, der seinen Kopf führte wie ein guter Hirte sein Ochsengespann, aber seit kurzem wußte Owuor, daß er sich da getäuscht hatte. Als der Bwana ihm von seinem toten Kind erzählte, war er es und nicht Owuor, der »Schauri ja mungo« sagte. Owuor hätte ebenso gesprochen, wenn ihm der Tod die Zähne gezeigt hätte wie ein verhungernder Löwe einer fliehenden Gazelle. Nur, fand Owuor, mußte ein Mensch Mungo nicht für ein Kind aus dem Schlaf holen. Für Kinder sorgte nicht Gott, sondern der Mann, der sie brauchte.
    Selbst in der Erwartung des Tages, der das alte Leben ins Haus und in die Küche

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